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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand
Autoren: Agatha Christie
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reizvolles schiefes Lächeln. Ihre Kleider waren schäbig und unvorteilhaft, und sie trug fast immer Wollstrumpfhosen mit Löchern darin.
    Eigentlich, fand ich an diesem Morgen, ähnelte sie viel mehr einem Pferd als einem Menschen. Hätte man sie ein bisschen gestriegelt, hätte sie sogar ein sehr hübsches Pferd abgegeben.
    Sie sprach wie üblich atemlos und überstürzt.
    «Ich war oben bei Lashers – der Farm, Sie wissen schon –, weil ich schauen wollte, ob ich vielleicht Enteneier kriege. Die haben einen furchtbar goldigen Wurf Ferkel. So was Süßes. Mögen Sie Schweine? Ich mag sogar den Geruch.»
    «Gepflegte Schweine sollten nicht riechen», sagte ich.
    «Im Ernst? Die Schweine hier riechen alle. Wollen Sie in die Stadt? Ich hab gesehen, dass Sie ganz allein sind, da dachte ich, ich halte an und leiste Ihnen Gesellschaft, nur hab ich ein bisschen scharf gebremst.»
    «Du hast deinen Strumpf zerrissen», sagte ich.
    Megan blickte bekümmert an ihrem rechten Bein hinab.
    «Stimmt. Aber es sind sowieso schon zwei Löcher drin, da macht es nicht so viel.»
    «Stopfst du deine Strümpfe denn nie, Megan?»
    «Manchmal. Wenn Mama mich erwischt. Aber meistens achtet sie nicht auf mich – ein Glück eigentlich, nicht?»
    «Dir scheint entgangen zu sein, dass du erwachsen bist», sagte ich.
    «Sie meinen, ich sollte mehr so sein wie Ihre Schwester? So schnieke?»
    Eine Beschreibung Joannas, die mir nicht sonderlich gefiel.
    «Sie sieht sauber und gepflegt aus», sagte ich. «Eine Freude für jedes Auge.»
    «Sie ist ungeheuer hübsch», sagte Megan.
    «Sie sieht Ihnen kein bisschen ähnlich. Wie kommt das?»
    «Geschwister müssen sich nicht immer ähnlich sehen.»
    «Auch wahr. Ich sehe Brian und Colin ja auch nicht besonders ähnlich. Und sie sich untereinander auch nicht.»
    Sie hielt inne und sagte dann: «Schon komisch, oder?»
    «Was ist komisch?»
    «Familien», antwortete Megan bündig.
    «Hm», sagte ich nachdenklich.
    Ich fragte mich, was ihr wohl durch den Kopf ging. Einen Moment lang wanderten wir schweigend nebeneinander her, dann fragte Megan ganz zaghaft: «Sie fliegen, oder?»
    «Ja.»
    «Und dabei hatten Sie auch Ihren Unfall?»
    «Ja, ich bin abgestürzt.»
    Megan sagte: «Hier bei uns fliegt niemand.»
    «Nein», sagte ich. «Hier nicht. Hättest du Lust zu fliegen, Megan?»
    «Ich?» Sie klang verblüfft. «Guter Gott, nein. Ich müsste sicher brechen. Ich breche ja sogar im Zug.»
    Sie machte eine Pause und fragte dann mit einer Direktheit, wie man sie sonst nur von Kindern kennt: «Werden Sie wieder, ich meine so, dass es zum Fliegen reicht, oder bleiben Sie immer ein bisschen tapplig?»
    «Mein Arzt sagt, ich werde wieder.»
    «Ja, aber ist er einer von denen, die Lügen erzählen?»
    «Ich glaube nicht», antwortete ich. «Das heißt, ich bin sogar ziemlich sicher. Ich vertraue ihm.»
    «Dann ist’s ja gut. Aber viele Leute lügen.»
    Diese unbestreitbare Tatsache nahm ich schweigend zur Kenntnis.
    Und Megan erklärte in sachlichem, unparteiischem Ton: «Aber das freut mich. Ich dachte schon, Sie gucken vielleicht deshalb so miesepetrig, weil Sie Ihr Leben lang humpeln müssen – aber wenn Sie von Haus aus so sind, dann ist das was anderes.»
    «Ich bin nicht miesepetrig», sagte ich kühl.
    «Dann eben reizbar.»
    «Ich bin reizbar, weil ich es so eilig habe, wieder auf die Beine zu kommen, und so etwas braucht seine Zeit.»
    «Warum dann die Eile?»
    Ich musste lachen.
    «Mein liebes Kind, passiert es dir nie, dass du etwas nicht erwarten kannst?»
    Megan überlegte.
    «Nein», sagte sie dann. «Woher denn? Was sollte ich nicht erwarten können? Es passiert ja nie was.»
    Etwas Verlorenes klang aus ihren Worten. Ich fragte behutsam: «Womit vertreibst du dir denn so die Zeit?»
    Sie zuckte die Achseln.
    «Was weiß ich.»
    «Hast du keine Hobbys? Spiele, die du gern spielst? Freundinnen, die hier in der Nähe wohnen?»
    «Bei Spielen stelle ich mich immer dämlich an. Außerdem machen sie mir keinen Spaß. Viele Mädchen gibt es hier nicht, und die paar, die da sind, mag ich nicht. Sie finden mich schrecklich.»
    «Unsinn. Warum sollten sie?»
    Megan schüttelte den Kopf.
    «Warst du denn auf gar keiner Schule?»
    «Doch, bis vor einem Jahr.»
    «Bist du gern zur Schule gegangen?»
    «Schon. Nur wird einem da alles auf so idiotische Art beigebracht.»
    «Wie meinst du das?»
    «Na ja, so durcheinander. Ein bisschen dies, ein bisschen das. Es war eine billige Schule, und die Lehrer waren
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