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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand
Autoren: Agatha Christie
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Begeisterung. Es traf den Rosinenwecken. Er rutschte mir aus dem Arm. Ich bückte mich danach und verlor einen Stock, der klappernd aufs Pflaster schlug, strauchelte und wäre um ein Haar gestürzt.
    Es war die starke Hand der Göttin, die mich auffing und stützte. Ich fing zu stottern an.
    «D-danke, es tut mir f-furchtbar Leid.»
    Sie hatte den Rosinenwecken geborgen und reichte ihn mir zusammen mit dem Stock. Dazu sagte sie gut gelaunt und mit freundlichem Lächeln: «Nichts zu danken. Das mach ich doch gern», und aller Zauber erstarb unter der blechernen, tüchtigen Stimme.
    Ein nettes, gesundes, gut gebautes Mädchen, mehr nicht.
    Ich begann darüber zu sinnieren, was wohl gewesen wäre, wenn die Götter die schöne Helena mit dieser Blechstimme ausgestattet hätten. Wie seltsam, dass ein Mädchen einen aufwühlen konnte bis ins tiefste Innere, solange sie den Mund hielt – und sobald sie sprach, verschwand der Glanz, als hätte es ihn nie gegeben.
    Aber ich hatte auch den umgekehrten Fall erlebt: eine kleine Frau mit trübseligem Affengesichtchen, nach der kein Mann sich umgedreht hätte. Dann hatte sie den Mund geöffnet, und plötzlich war es, als würden Sirenen singen.
    Joanna hatte neben mir am Bordstein angehalten, ohne dass ich ihre Ankunft bemerkt hätte. Ob mir etwas fehle, wollte sie wissen.
    «Nein.» Ich riss mich zusammen. «Ich habe nur über die schöne Helena und Konsorten nachgedacht.»
    «Dafür hast du dir aber einen komischen Platz ausgesucht», sagte Joanna. «Du hast höchst merkwürdig ausgesehen mit deinem offenen Mund und dem Rosinenbrot an der Brust.»
    «Ich habe einen Schock erlitten», sagte ich. «Ich bin gerade nach Ilium versetzt worden und wieder zurück. – Weißt du, wer das ist?», fügte ich hinzu und zeigte auf einen anmutig davongleitenden Rücken.
    Joanna blinzelte hinter dem Mädchen her und sagte, es sei das Kindermädchen der Symmingtons.
    «Bist du davon so durch den Wind?», fragte sie. «Sie sieht gut aus, aber sie ist ein bisschen tranig.»
    «Ich weiß», sagte ich. «Einfach nur ein liebes, nettes Mädchen. Und ich habe sie für Aphrodite gehalten.»
    Joanna öffnete die Autotür, und ich stieg ein.
    «Seltsam, nicht?», sagte sie. «Manche Leute können noch so schön sein, sie haben keine Spur Sexappeal. Schau dir dieses Mädchen an. Ein Jammer.»
    Ich sagte, wenn sie Kindermädchen sei, halte der Jammer sich vielleicht in Grenzen.

Drittes Kapitel
    I
     
    F ür den Nachmittag hatte uns Mr Pye zum Tee eingeladen.
    Mr Pye war ein dralles, ungemein geziertes Männchen, dem nichts über seine Petit-point-Sessel , seine Meißner Schäferinnen und seine Nippessammlung ging. Er bewohnte die Prior’s Lodge, auf deren Gelände die Ruinen des alten Klosters standen.
    Die Prior’s Lodge, ohnehin ein bildschönes Haus, war unter Mr Pyes liebevoller Pflege zu einem wahren Schmuckkästchen gediehen. Jedes Möbelstück war blank poliert und stand genau da, wo es stehen musste. Vorhänge und Teppiche waren in den erlesensten Farbtönen gehalten, alle aus teuren Seidenstoffen.
    Es schien nicht eigentlich ein Haus für einen Mann, und mir drängte sich der Gedanke auf, dass es sich hier leben musste wie in einem historischen Zimmer in einem Museum. Mr Pyes größtes Lebensglück bestand darin, Führungen durch sein Haus zu veranstalten. Keiner, und hatte er noch so wenig Kunstsinn, konnte ihm entrinnen. Die Besucher mochten so abgestumpft sein, dass sie nicht mehr vom Leben wollten als ein Radio, eine Cocktailbar, ein Bad und ein Bett mit den entsprechenden Wänden drum herum – Mr Pye ließ es sich nicht nehmen, sie höheren Weihen zuzuführen.
    Seine kleinen feisten Hände bebten vor Gefühl, während er seine Schätze beschrieb, und als er die abenteuerlichen Umstände schilderte, unter denen er seine italienische Bettstatt aus Verona heimtransportiert hatte, erhob sich seine Stimme zu einem schrillen Falsett.
    Da sowohl Joanna als auch ich Freude an Antiquitäten und Stilmöbeln haben, fanden wir Gnade vor seinen Augen.
    «Es ist ein Vergnügen, ein großes Vergnügen, solchen Zuwachs in unserer kleinen Gemeinde zu bekommen. Die lieben, braven Leutchen hier, müssen Sie wissen – sie sind so entsetzlich bukolisch, um nicht zu sagen provi n ziell. Sie wissen nichts. Barbaren – absolute Barbaren. Und wie sie ihre Häuser einrichten – ich versichere Ihnen, meine liebe junge Dame, es kann Sie zum Weinen bringen. Wenn es das nicht schon getan hat?»
    Joanna sagte,
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