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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand
Autoren: Agatha Christie
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ganz so weit sei es denn doch nicht gegangen.
    «Aber Sie wissen, was ich meine? Dieser furchtbare Mischmasch! Ich habe mit eigenen Augen einen ganz und gar entzückenden kleinen Sheraton-Sekretär gesehen – zart, vollendet, ein Sammlerstück, ohne Zweifel – und gleich daneben einen viktorianischen Beistelltisch oder vielleicht auch ein drehbares Bücherregal aus geräucherter Eiche – jawohl, geräucherter Eiche.»
    Er schauderte und murmelte klagend:
    «Warum sind die Menschen so blind? Wir sind uns doch einig – selbstredend sind wir uns einig –, dass Schönheit das Einzige ist, wofür es sich zu leben lohnt.»
    Fasziniert von seinem heiligen Ernst, sagte Joanna, ja, ja, so sei es.
    «Warum», verlangte Mr Pye zu wissen, «warum umgeben sich die Leute dann mit Hässlichkeit?»
    Joanna sagte, das sei in der Tat höchst merkwürdig.
    «Merkwürdig? Es ist ein Verbrechen! So nenne ich das – ein Verbrechen! Und die Ausreden, mit denen sie kommen. Bequem. Oder originell. Originell! Welch ein schauderhaftes Wort. – Das Haus, das Sie gemietet haben», fuhr er fort, «Miss Emily Bartons Haus, das ist natürlich recht hübsch, und sie hat ein paar annehmbare Stücke. Sehr annehmbare sogar. Ein, zwei sind wirklich erstklassig. Und Geschmack hat sie auch – obwohl, ganz sicher bin ich mir da nicht mehr. Manchmal beschleicht mich der Verdacht, es ist reine Sentimentalität. Sie lässt gern alles so, wie es war – aber nicht etwa um des harmonischen Effekts willen – le bon motif –, sondern weil ihre Mutter es schon so hatte.»
    Er wandte seine Aufmerksamkeit mir zu, und seine Stimme nahm einen neuen Ton an. Statt des hingerissenen Connaisseurs sprach nun das geborene Klatschmaul.
    «Sie kannten die Familie gar nicht? Nein, richtig – ein Maklerbüro. Aber, meine Lieben, Sie hätten diese Familie sehen sollen! Als ich hierhergezogen bin, war die alte Mutter noch am Leben. Eine unglaubliche Person – ganz und gar unglaublich! Ein Monster, wenn Sie wissen, was ich meine. Ein wirkliches und wahrhaftiges Monster. Die altmodische viktorianische Spielart, die ihre Brut verschlingt. Doch, ungelogen. Sie war ein Koloss, wissen Sie, sie muss mindestens zwei Zentner gewogen haben, und alle ihre fünf Töchter haben sie bedient. ‹Die Mädchen!› So nannte sie sie immer. Die Mädchen. Dabei war die Älteste weit über sechzig. ‹Diese dummen Mädchen!›, sagte sie manchmal. Galeerensklaven waren sie – nichts als holen und tragen und zu allem Ja und Amen sagen. Um Punkt zehn mussten sie ins Bett, in ihren Zimmern durfte kein Feuer brennen, und gar eine Freundin nach Hause einzuladen, wäre völlig unerhört gewesen. Die Mutter verachtete sie, verstehen Sie, weil sie keine Männer hatten, und trug gleichzeitig Sorge, dass sie niemanden kennen lernten. Ich glaube, Emily – oder war es Agnes? – hatte kurz etwas mit einem Kuraten. Aber seine Familie stellte nicht genug dar, und so schob die Mama schon bald einen Riegel vor!»
    «Das klingt ja wie ein Roman», sagte Joanna.
    «Oh, meine Liebe, genau das war es. Und dann starb der alte Drache, aber da war es natürlich längst zu spät. Sie blieben einfach alle dort wohnen und redeten mit gedämpften Stimmen darüber, was die arme Mama wohl gewünscht hätte. Schon ihr Schlafzimmer neu zu tapezieren, erschien ihnen als Sakrileg. Trotzdem, auf ihre stille Art freuten sie sich des Lebens hier in der Gemeinde… Aber sehr vital waren sie alle nicht, und sie sind einfach eine nach der anderen weggestorben. Bei Edith war es die Grippe, und Minnie hatte eine Operation, von der sie sich nicht wieder erholte, und die arme Mabel bekam einen Schlaganfall – Emily hat sich aufopfernd um sie gekümmert. Das arme Ding, sie hat die letzten zehn Jahre ausschließlich mit Krankenpflege zugebracht. Ein reizendes Wesen, finden Sie nicht? Wie eine Porzellanfigur. Wirklich tragisch, diese Geldsorgen – aber alle Kapitalanlagen haben ja an Wert verloren.»
    «Wir haben ein ganz schlechtes Gewissen, dass wir sie aus ihrem Haus vertrieben haben», sagte Joanna.
    «O nein, meine liebe junge Dame. So dürfen Sie nicht denken. Sie ist in besten Händen bei ihrer lieben guten Florence, und sie hat mir selbst gesagt, wie froh sie ist, solch nette Mieter zu haben.» Hier machte Mr Pye eine kleine Verbeugung. «Sie sagte, sie schätze sich äußerst glücklich.»
    «Das Haus», sagte ich, «hat eine sehr anheimelnde Atmosphäre.»
    Mr Pye warf mir einen raschen Blick zu.
    «Ja? Empfinden Sie
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