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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers
Autoren: Lia Norden
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«Julichaos» und so weiter und so weiter.
    Unter uns: Ich hätte keines meiner Bücher gekauft. Ich schrieb sie, weil es das war, was ich am besten konnte, und hin und wieder schämte ich mich ein bisschen dafür. Aber ich war nicht dumm: Ich wusste, dass ich keine große Literatur schreiben konnte. Hätte ich gerne gekonnt, aber so funktionierte das nicht. Man schreibt keine anspruchsvollen Bücher, weil man es will. Man schreibt sie, weil man es kann. Ich wäre auch gerne Leadsängerin in einer schrägen Band gewesen oder Pilotin oder Herzchirurgin. Konnte ich aber auch alles nicht. Also tat ich, wozu ich in der Lage war, und produzierte unterhaltsame Frauenromane. Aber dann kamen die «Katzenpfoten». Eine Geschichte aus der Sicht eines Katers, der ein neues Herrchen für sein Frauchen sucht. Ich hasste dieses ganze Gewese um Katzen, dieses Gerede um ihren angeblichen Stolz und Freiheitsdrang. Es ist nicht stolz, ein bisschen herumzustromern und dann brav zu seinem Fressnapf zurückzukehren. Aber das tun Katzen, wenn sie nicht zufällig überfahren werden. Frauen lieben Katzen, weil sie es mögen, wenn jemand Kuscheliges von ihnen abhängig ist. So viel zum Thema Katzen. Aber ich war klug. Ich wusste, was Katzenbesitzerinnen lesen wollen, also schrieb ich ein Katzenbuch.
    «Ein nettes Stückchen Frauenliteratur» stand anschließend in der
Morgenpost
. Meine Bücher wurden nicht in der ZEIT oder der
Süddeutschen Zeitung
besprochen. Ich hatte schon vor Jahren aufgehört, die Rezensionen aus dem
Hamburger Abendblatt
, der WAZ oder dem
Münchner Kurier
zu sammeln. «… charmante Geschichte über eine Liebe auf Umwegen», «Munteres Chaos um ein Mauerblümchen …», «Sommerlich heiterer Roman, mit amüsanten Seitenhieben auf die Herren der Schöpfung …» – das war so meine Klasse. Ich hatte mich damit abgefunden. Nur manchmal noch, wenn ich ein richtig gutes Buch las, wurde ich wehmütig und dachte, dass ich vielleicht doch einmal etwas Anspruchsvolles schreiben sollte. Ich könnte mich anstrengen, es zumindest einmal versuchen … Ja, so etwas dachte ich und ließ es dann.
    Ich war noch nie leicht zu erschüttern gewesen. Aber als ich an jenem Tag die Zeitung aufschlug und über mein «Stückchen Frauenliteratur» las, warf es mich aus der Bahn. «Stückchen». Es traf mich wie ein Steinwurf aus dem Hinterhalt. Es verletzte mich, warum auch immer. Ich dachte, es würde vorübergehen, aber das ging es nicht, und ich bekam die erste Schreibkrise meines Lebens. Ein halbes Jahr lang hatte ich danach zu Hause gesessen, von meinem Ersparten gezehrt und darauf gewartet, dass alles wieder so werden würde wie zuvor. Ich versuchte mich zu zwingen, trieb mich jeden Tag an den Computer, sah alte Ideen und Entwürfe durch und versuchte, etwas Leichtes, Humorvolles zu entwerfen. Komm, dachte ich, schreib noch so ein Stückchen, tut dir nicht weh, tut niemandem weh. Irgendwann hatte ich aufgegeben, meine Tage in Cafés, die Nächte mit Rotwein vor dem Fernseher verbracht und zwei wirklich schlechte One-Night-Stands gehabt. Es wäre Zeit, die Liebe zu suchen, wenn ich schon nicht mehr über sie schreiben kann, hatte ich gedacht.
    Es war einer der vielen Nachmittage gewesen, die ich im Schatten vor meinem Stammcafé verbracht hatte. Außer Haus zu trinken kam mir weniger gefährlich vor. Ich beobachtete die Studenten und Kreativen um mich herum, und dann sah ich sie: Sie war etwa sechzehn, schlaksig und setzte sich mit ihrer Freundin an den Nebentisch. Fabienne!, dachte ich, das ist Fabienne! Aber natürlich war sie es nicht. Fabienne war heute dreiundvierzig, so alt wie ich.
    Ich hatte Glück gehabt, das Mädchen saß mit dem Gesicht zu mir, und ich konnte sie genau beobachten. Die intensiven Blicke, mit denen sie ihre Freundin fixierte, die unterdrückte Kraft, die aus jeder ihrer Bewegungen sprach … alles an ihr erinnerte mich an Fabienne. Als sie sich mit der Hand durch die kurzen Haare fuhr, war alles wieder da. Sogar die Hitze jenes Sommers, damals vor mehr als fünfundzwanzig Jahren in Beerenbök. Tag für Tag hatten Fabienne, ich und die beiden anderen in den Schulferien auf der Bürgersteigkante unseres verschlafenen Dorfes in Schleswig-Holstein gesessen, mit Ästchen Löcher in den weichen Asphalt gebohrt und uns gelangweilt. Wir waren so unterschiedlich gewesen, wie es nur ging. Fabienne, immer darauf bedacht, alles zu vermeiden, was sie hätte mädchenhaft erscheinen lassen können. Marie, so unauffällig,
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