Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars
Autoren: Frank W. Haubold
Vom Netzwerk:
Mahlzeiten aus dem Arbeitszimmer und kümmerte sich kaum um das, was um ihn herum vorging. Martin konnte sich nicht erinnern, wann er ihn zum letzten Mal hatte lachen hören. Neuerdings schien ihm sogar das Sprechen Mühe zu bereiten, als fiele es ihm schwer, die richtigen Worte zu finden. Dabei vermied er es, seinen Gesprächspartner anzusehen, und starrte wie abwesend auf einen imaginären Punkt in der Ferne.
    Einen Anfall hat Martin nur ein einziges Mal miterlebt: Das Gesicht seines Vaters war von einem Augenblick auf den anderen rot angelaufen, und er hatte angefangen, so heftig zu husten, als hätte er sich verschluckt. Keuchend hatte er nach Luft gerungen, während sein Körper von Hustenkrämpfen geschüttelt wurde. Der Anfall hatte sicher nicht länger als zwei Minuten gedauert, aber Martin war es wie eine Ewigkeit vorgekommen. Er hatte die roten Flecken auf dem Taschentuch gesehen, das sein Vater gegen den Mund gepreßt hielt, und befürchtet, er würde vor seinen Augen ersticken. Als Dad wieder zu Atem gekommen war, hatte er Martin mit tonloser Stimme aus dem Zimmer geschickt. Er hatte traurig und beschämt ausgesehen wie jemand, der bei etwas Ungehörigem ertappt worden ist. Das war jetzt fast ein Jahr her, aber die Erinnerung trieb dem Jungen noch immer die Tränen in die Augen.
    Martin war zwölf Jahre alt und noch immer fest davon überzeugt, daß die Ärzte ein Mittel finden würden, das seinen Vater wieder gesundmachte. Aber warum dauerte es so verdammt lange?
    Beim Anziehen sah der Junge aus dem Fenster hinaus in den Garten und versuchte, die trüben Gedanken zu verdrängen.
    Das dumpfe, gleichförmige Hämmern, das in diesem Augenblick aus dem Erdgeschoß nach oben drang, war allerdings nicht dazu angetan, seine Laune zu bessern. Es bedeutete zweierlei: erstens, daß die Eltern schon auf dem Weg zur Arbeit waren, und zweitens, daß seine Schwester Betty den Fernseher mit einem der von ihr bevorzugten Musikkanäle eingeschaltet hatte.
    An einem gewöhnlichen Tag hätte er wahrscheinlich versucht, seiner Schwester die Fernbedienung abzunehmen, um den Lärm abzustellen. Aber heute war kein gewöhnlicher Tag.
    Heute war der Tag, an dem ihre Rakete, die U.S.S.S. »Steve Mancuso«, in den nächtlichen Himmel aufsteigen würde – auf dem Weg zu den Sternen, oder wie es der Professor etwas vorsichtiger formuliert hatte: »soweit der Treibstoff eben reicht«.
    Natürlich wußten die Jungen, daß eine selbstgebastelte Feststoffrakete das Schwerefeld der Erde nicht verlassen konnte, aber das war nicht wichtig. Wichtig war, daß sie sie gemeinsam gebaut hatten, um ihrem Freund Steve ein Denkmal zu setzen – ein Denkmal, das seiner würdig war, anders als das Steinkreuz auf dem Friedhof, auf dem sein Name und ein paar Zahlen standen, als wäre sein Leben nicht mehr gewesen als die Differenz zwischen Geburts- und Todestag.
    Steve hatte die Sterne geliebt und sich nichts sehnlicher gewünscht, als eines Tages Astronaut zu werden. Er wollte dabeisein, wenn die Menschheit den Mond und die erdnahen Planeten besiedelte und sich aufmachte, zu den Sternen zu fliegen. Und vielleicht hätte er es auch geschafft, wenn er lange genug gelebt hätte ...
    Gestern abend hatten die Jungen die fertig montierte Rakete mit dem Pickup von Niks Vater zum Startplatz gebracht und mit Reisig abgedeckt. Der Countdown lief – in exakt 12 Stunden, 53 Minuten und 11 Sekunden würden die Triebwerke der U.S.S.S. »Steve Mancuso« zünden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt würde sich herausstellen, ob die Berechnungen des Professors stimmten und das Ding tatsächlich flog ...
    Bis dahin war noch eine Menge zu erledigen: Das Startgerüst mußte aufgestellt, die Rakete ausgerichtet und der Zünder montiert werden. Und das Wichtigste war: Kein Mensch, und erst recht kein Erwachsener, durfte Verdacht schöpfen.
    Martin war sich durchaus im klaren darüber, daß ihr Vorhaben nicht ganz ungefährlich war. Selbst wenn alles funktionierte, riskierten sie im Falle der Entdeckung mehr als eine Tracht Prügel oder ein paar Tage Stubenarrest. Aber das waren sie Steve einfach schuldig, und außerdem erhöhte das Bewußtsein, etwas Verbotenes zu tun, den Reiz des Unternehmens nicht unbeträchtlich. Dennoch verspürte er ein flaues Gefühl im Magen und mußte sich regelrecht zwingen, wenigstens ein paar Bissen seines Frühstücks hinunterzuwürgen.
    »Keinen Appetit, Bruderherz?« erkundigte sich Betty scheinheilig, als er den Rest seiner Cornflakes dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher