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Die Scanner

Die Scanner

Titel: Die Scanner
Autoren: Robert Sonntag
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Zeltplane schaute Heu hervor, sicher aus Plastikfasern. Vermutlich schliefen sie darauf.
    »Camp Hope 48, ich sag immer D-Zone dazu«, klärte mich der Taxifahrer auf. »Keine Sorge, da vorne wird’s wieder besser.«
    Besser war relativ. Auf dem Boden lagen noch mehr Alte. Sie schliefen zwischen Bergen aus Müll. Manche kratzten mit ihren Fingernägeln Tüten auf, durchsuchten sie. Das hatte ich noch nie auf Ultranetz gesehen.
    »Die meisten haben nur eine Nador-Überdosis. Keine Sorge, Kleiner.« Der Taxifahrer schlug mir kräftig auf den Schenkel.
    Nador macht satt und glücklich , lautete der Werbeslogan der Pharmafirma. Ein anderer: Nador ist das Lebensmittel für die reifen Jahre. Die Spots mit strahlenden Rentnern liefen ständig auf Ultranetz. Ein älteres Paar – er im Anzug, sie im langen Kleid – nahm von einem silbernen Teller zwei Pillen. Sie ließ das runde Zauberding im Mund verschwinden und lehnte sich entspannt zurück. Die Sonne ging auf, ihr Gesicht strahlte. Ein Kinderchor stimmte das Nador-Liedchen an.
    »Nador ist guuuut, gibt dir Lebensmuuuut. Nador nimmt den Hunnnnger, auch deinen Kummmmmmer. Naaaadoooor.«
    »Nador wirkt genauso und nicht anders«, verteidigte Jojo die Werbung immer. Ich sah meine Zweifel von den bewusstlosen Rentnern am Straßenrand bestätigt.
    Die Idee bei Nador war simpel. Lebensmittel kosteten viel Geld. Zu viel Geld. Selbst meine Familie hatte nicht immer eine volle Aromazelle in der Küchenbox. Und wir lebten in der A-Zone! Frische Nahrung gab es bei uns an Geburtstagen. Sonst war das Essen chemisch zubereitet. Fleischersatz schmeckte zwar irgendwie nach Fleisch, allerdings vor der letzten Eiszeit gejagt. Ohne Ultranetz-Link wusste ich oft überhaupt nicht, was das Essen auf dem Teller darstellen sollte.
    »Nador erleichtert das Leben in den reifen Jahren und entlastet die Haushaltskasse«, sagte die Zonenverwaltung. Was immer in so einer Pille war, sie machte satt. Laut Ultranetz-Link versorgte sie einen zudem »mit Vitaminen, Kohlenhydraten, Mineralstoffen und was man so alles zum gesunden Leben braucht«.
    Es gab zwei Gründe, wieso die Pille nicht bei uns zu Hause auf den Tisch kam. Erstens brauchte man für die Nador-Pille ein Rezept der Gesundheitsbehörde. Das bekamen erst über 60-Jährige. Zweitens, was wiederum mit erstens zusammenhing, hatte sie offenbar starke Nebenwirkungen. Was die Pharmafirma mit »satt und glücklich« anpries, umschrieben Nador-Kritiker mit »träge und doof«.
    Ein Hobby-Doc-1995 von meiner Freunde-Liste sagte mir auf Nachfrage (ich machte mir wegen Jojo einmal Sorgen): »Die Pille löst Glücksgefühle aus und verursacht einen Dämmerzustand. Der Konsument ist für sechs bis sieben Stunden eingelullt in Watte. Ob das deinem Freund schadet? Keine Ahnung.«
    Selbst Nador-Superfan, der es eigentlich wissen müsste, antwortete unklar. »Hab oft Kopfschmerzen davon. Hatte die aber auch vorher manchmal. Hörte von Freundin, Nador macht unfruchtbar. Freundin lügt aber oft.«
    Und Mona2010 (die 23-mal meine Mobril-Einladung in die Parkhalle löschte): »Wasser ist ganz wichtig. Hauptsache drei Liter Wasser am Tag. Hatte Nador noch nie!«
    Ich kopierte die Kommentare in ein Ultranetz-Forum zu Nador. Vielleicht würde ich mit ihnen wenigstens anderen helfen. Ich selbst konnte nämlich überhaupt nichts damit anfangen.
    Jojo kaufte seine Pillen, wenn wir ein paar Minuten Aufenthalt in der C-Zone hatten. Dealer marschierten wie die Ticket-Verkäufer auf und ab. Ich stellte mir vor, wie sich Jojo in seiner Wohnung eine Pille schmiss. Er lag in meiner Phantasie zwischen all den aufgeschraubten Mobrils, E-Book-Readern und Kabelresten – so wie die Alten hier zwischen dem Müll.
    »Was geschieht mit denen?«, fragte ich den Taxifahrer.
    »Entweder sie wachen irgendwann von alleine auf und lassen sich von ihrer Mobril in ihren Schlafsaal manövrieren. Oder sie bleiben liegen, bis nachts die Gesundheitsbehörde kommt.«
    »Und was machen die?«
    »Junge, so ein ahnungsloser, verzogener Schnösel aus der A-Zone hat mir gerade noch gefehlt!«
    Mehr sagte er nicht.
    Und der ahnungslose, verzogene Schnösel aus der A-Zone hielt die Klappe, bis der E-Motor nicht mehr summte. Wir parkten vor einer grauen Häuserzeile.
    »Da vorne ist das Baby Q, hat mittags geschlossen, aber das wusste Ihr Freund.« Ich presste den Finger auf die Konsole zwischen uns. Ich hatte noch nie so viel Geld für eine Taxifahrt ausgegeben.
    Ich wartete mit meinen drei
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