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Die Scanner

Die Scanner

Titel: Die Scanner
Autoren: Robert Sonntag
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Gefährlichen sah ich auf unserer Taxifahrt nichts. Die Problemfälle waren vermutlich nachtaktiv. Stattdessen sah ich überall Menschen mit faltigen Gesichtern. Sie stützten ihre schwachen Körper auf Krücken.
    Manche hatten veraltete Mobril-Modelle (erste Generation), die ihnen nur den Weg nach Hause erklären konnten.
    In der C-Zone lebten die Ärmsten der Ärmsten. Trotzdem hatte jeder so eine Brille auf dem Kopf. Das wunderte mich. Bis Werbung die Komödie auf der Frontscheibe des Taxifahrers unterbrach. Dann wunderte mich nichts mehr.
    In der A-Zone erhielt man alles Mögliche, wenn man einen Fünfjahresvertrag abschloss. Eine Box mit 500 Filmen für den Animator, Jahrestickets für die Elektro-Busse und Metro-Gleiter. Die Ultranetzwerbung in der C-Zone sah anders aus.
    »Mein zweites Leben …«, sagte eine ältere Dame mit einer Mobril in einer Hängematte liegend, »… findet in der A-Zone statt.«
    Eine junge Frau joggte über die Frontscheibe des Taxis durch die Parkhalle und strahlte kurz vor dem Seitenspiegel des Fahrers zu uns hinein. »Ich bin Ihr zweites Leben. Einmal im Monat, einen ganzen Tag lang, mache ich das für Sie, was Sie wollen. Sport in der Parkhalle, aromafreies Essen im Restaurant … Ganz egal. Und das alles in der A-Zone! Mit der Kraft einer 20-Jährigen!«
    Eine viel zu schnell sprechende Stimme erklärte die Vertragskonditionen am Ende des Spots.
    »Was hat der gerade gesagt?«, fragte mich der Taxifahrer.
    »Man muss nur einen unschlagbar günstigen Mobril-Vertrag abschließen«, fasste ich es zusammen.
    »Was heißt unschlagbar günstig?«
    Der Taxifahrer wollte es genau wissen. Oder er wollte mich einfach nur nerven. Vermutlich sah er den Spot alle paar Minuten, wollte aber von mir unterhalten werden.
    »Auf Lebenszeit 120 Minuten Werbung am Tag«, erklärte ich. »Doch der Vertrag ist inklusive 150 beste Freunde mit Premium-Status.«
    »Die Freunde bekommt man dazu?«
    »Nur die ersten 150 …«, erklärte ich.
    »Und was sind das für Freunde?«
    »Menschen, die sehr gut zu Ihrem Profil passen.«
    »Und die werden einfach so meine Freunde?«, fragte er und machte eine Pause. »Schöne neue Welt, oder?«
    Ich machte nicht mehr mit und schaute aus dem Fenster. Viele der Männer hatten lange graue Haare und Bärte, die bis zur Brust reichten. Ich musste an Arne Bergmann denken. Manche Frauen hatten hochgesteckte Frisuren, Zöpfe, Rasta-Locken.
    Viele Alte kauerten auf den Bänken am Straßenrand. Sie humpelten am Stock auf dem schmalen Fußweg. Ein E-Hund auf vier Rädern zog eine alte Frau. Ganz selten liefen auch mal zwei Leute nebeneinander.
    Manche lagen reglos auf dem Boden am Straßenrand. Was keinen interessierte. Uns auch nicht. Ich konnte sowieso nichts ändern, war von all dem wie gelähmt.
    »Wie wär’s mit ein wenig Nador?«, fragte mich mein Taxifahrer. »Ein Gramm für einen Fünfer?«
    Typisch C-Zone, dachte ich. Ich hatte noch nie von dem Zeug probiert. Jojo nahm alle paar Tage Nador. »Relaxt dich total«, so Jojos Ansage. Ich wollte davon nichts wissen. Ursprünglich war Nador ein Medikament für Alte. Pfleger in den Seniorenlagern der C-Zone verteilten es an die Bewohner.
    Außerhalb solcher Einrichtungen verkauften Dealer das Nador in allen möglichen Farben und Formen – vom Pulver bis zur Pille.
    »Ein anderes Mal«, lehnte ich das Angebot des Taxifahrers ab.
    Er schüttelte den Kopf, widmete sich wieder der Komödie auf der Frontscheibe. Wir fuhren weiter raus. Es sah immer schmutziger und ärmlicher aus. Immer grauer und unglatziger.
    Ein paar Alte standen um einen Haufen mit brennenden Abfällen. Sie streckten die Arme in Richtung der blauen Flammen und rieben sich die Hände.
    »Von wegen Juli«, sagte der Taxifahrer und zeigte raus.
    Ich nickte.
    »Sommer bedeutet nichts mehr«, sagte er. »Die Temperaturen schwanken beliebig. Schneeflocken würden mich nicht wundern heute.«
    Ich nickte noch einmal.
    »Ist aber erst seit dem letzten Krieg so. Seitdem macht das Wetter, was es will. Kannst mir glauben. Ich hab alles erlebt.«
    Ich glaubte ihm. Das überschnitt sich mit dem, was mir meine Eltern vom letzten der großen Kriege erzählt hatten. Ich schaute wieder zum Camp. Frauen und Männer standen dicht nebeneinander am Feuer. Ich sah dunkle Zeltplanen, die notdürftig mit Seilen an Strommasten befestigt waren. Überall schwarze Stofffetzen voller Löcher. Die Alten am Feuer hatten das gleiche Material um ihre Körper gewickelt. Unter einer
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