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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes
Autoren: Abbie Taylor
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Notfallwagen in die Beine gerammt.
    »Es geht ihm nicht so gut, oder?«, fragte er, als sie sich zu ihm umdrehte.
    Dawn verlor die Beherrschung. »Hatte ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen ihn im Auge behalten?«
    Clive verschränkte die Arme vor der Brust und reckte trotzig das Kinn vor. »Wann hätte ich das tun sollen? Hier war die Hölle los.«
    Das stimmte nicht. So viel war heute gar nicht zu tun gewesen, außerdem war Dawn sicher, Clive und Elspeth noch vor wenigen Minuten im Pausenraum gesehen zu haben. Aber nun war nicht der geeignete Augenblick, um zu diskutieren. Die Stationstüren waren immer noch geschlossen. Wo blieb Dr. Coulton? Jack Benson ging es von Minute zu Minute schlechter. Je länger der Druck auf die Luftröhre einwirkte, desto stärker wurde sie zusammengepresst. Irgendwann würden die Atemwege komplett zugeschwollen sein, und wenn das passierte, war alles zu spät. Dann würden sie den Patienten nicht mehr retten können.
    »Bitte piepen Sie den Doktor noch einmal an«, sagte sie zu Clive. Die Haut an Mr. Bensons Hals quoll zwischen den
Klammern hervor. Dawn fühlte die schwere Zange in der Hand. Sie könnte die Klammern mühelos selbst entfernen, denn als Krankenschwester zog sie täglich Fäden. Aber in diesem Fall handelte es sich um keine normale Naht. Sie zu öffnen hieß, nicht nur die Luftwege, sondern auch die Wunde zu öffnen. Wenn sich kein fachkundiger Arzt in der Nähe befand, um die Blutung unter Kontrolle zu bekommen, würde Jack Benson möglicherweise verbluten. Die von Professor Kneebone ausgegebene Grundregel lautete, dass solche Entscheidungen einzig und allein der behandelnde Arzt zu treffen hatte.
    Jack Bensons Hände entspannten sich. Er sank in die Kissen zurück. Wurden seine Atemzüge leiser? Ließ das Röcheln und Keuchen nach? Der Patient lag reglos da und starrte einen Punkt in der Ferne an, während sich ein trüber Schleier vor seine in Todesangst weit aufgerissenen Augen schob.
    »Sehen Sie, es geht ihm schon besser!« Zufrieden faltete Elspeth die Hände vor der Brust.
    Dawn widersprach nicht, dabei ging es Jack Benson alles andere als besser. Das nachlassende Keuchen bedeutete nur, dass kaum noch Luft in seine Lunge gelangte. Er wirkte vollkommen erschöpft. In wenigen Minuten würde er selbst zum Atmen zu schwach sein. Er würde das Bewusstsein verlieren, und dann wäre alles vorbei.
    »Gehen Sie nach Hause«, hatte Dawn am Morgen zu seiner Frau und seiner Tochter gesagt. »Ruhen Sie sich ein bisschen aus. Er wird ohnehin den ganzen Tag schlafen.«
    »Sind Sie sicher, Schwester?« Seine Gattin, eine schlanke, geschmackvoll gekleidete Frau Mitte sechzig, sah so aus, als hätte sie sich schon länger nicht mehr ausgeruht. »Die Operation war kompliziert. Ich lasse ihn nur ungern allein.«
    »Hier geht es ihm gut.« Dawn sah der Frau direkt in die Augen. »Ich verspreche es. Bei uns ist er in guten Händen.«

    Mit diesen Worten hatte sie die Angehörigen verabschiedet. Sie vertrauten darauf, dass er hier im Krankenhaus gut aufgehoben war.
    Dawns unruhiger Blick flog zwischen Klammerzange und Tür hin und her. Egal, was sie nun tat, sie würde Ärger bekommen: Wenn Sie die Wunde öffnete, würde Jack Benson möglicherweise verbluten. Unternahm sie nichts, würde er hier vor ihren Augen ersticken.
    Clive legte den Telefonhörer auf, kam zurück, stellte sich hinter sie und sagte mit wohligem Schauer in der Stimme: »Er sieht schon ziemlich grau aus, stimmt’s? Ich glaube, der macht es nicht mehr lange.«
    Dawn drückte den Rücken durch. »Doch. Doch, das wird er.«
    Sie konnte nicht noch länger warten. Regeln hin oder her, das Leben dieses Mannes lag in ihren Händen. Sie war die Oberschwester; sie trug die Verantwortung. Falls sie eine falsche Entscheidung traf, wäre es eben so. Aber sie konnte nicht tatenlos herumstehen und zuschauen, wie ein Mensch starb.
    Als sie das Gerät ansetzte, um die erste Klammer zu öffnen, blieben ihre Hände unerwartet ruhig. Das Metall steckte tief in der geschwollenen Haut, aber sie schaffte es, eine Klinge darunterzuhaken. Jack Benson rührte sich nicht. Er fühlte schon nichts mehr. Dawn drückte die Griffe der Klammerzange kräftig zusammen.
    Schnapp! Die erste Klammer gab nach. Dawn setzte bei der zweiten an.
    Schnapp! Schnapp! Schnapp! Nun gab es kein Zurück mehr. Eine Klammer nach der anderen löste sich aus der Haut. Die Wunde platzte auf, und ein Schwall Blut ergoss sich auf Jack Bensons Brust.
    »Jack!« Dawn packte
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