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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Autoren: Christian Ritter
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Kapuzenpulli und eine hellbraune Schiebermütze aus Cord. Wenn die Wolken mal abziehen, kann er auch seine übergroße Pilotensonnenbrille aufsetzen. In freier Wildbahn würde ich ihn wirklich nicht erkennen. Aber um mir irgendwelche Sorgen zu machen, bin ich sowieso zu erledigt. Es kann noch vieles schiefgehen. Wir könnten in eine Polizeikontrolle geraten. Die könnten uns zwar nichts anhaben, weil wir Herrn Jauch im Auto haben, aber womöglich deshalb nerven, weil er seinen Führerschein nicht dabeihat. War ja auch nicht unbedingt geplant, dass die Sache so abläuft. Und bei der Lösegeldübergabe … na ja, seien wir ehrlich, wir zählen das vorher nicht durch, bevor wir ihn laufen lassen. Wenn die unteren Bündel nur aus Monopoly-Geld bestehen, haben wir eben Pech gehabt. Unser Druckmittel ist mir einfach zu sympathisch, um es wirklich als Druckmittel einzusetzen. Außerdem fährt er sich selbst zu seiner Freilassung, das ist ihm hoch anzurechnen.
    Vor einer Stunde hat es noch nicht so ausgesehen, als kämen wir pünktlich auf die Straße oder überhaupt heute nach Frankfurt. Nicht dass das Haus sonderlich verwüstet gewesen wäre, aber die überall herumliegenden, nahezu narkotisierten Menschen haben in mir nicht gerade Zuversicht aufkeimen lassen. Dass es sogar noch für ein gemeinsames Frühstück gereicht hat, grenzt an ein Wunder. Nur Frau Rottenbauer war gar nicht wach zu bekommen. Keine Sorge, sie hat noch geatmet. Vielleicht braucht sie einfach ein bisschen länger zur Regeneration. Gestern ist sie den Likörchen zusammen mit Frau Oberhaid treu geblieben und hat wohl einige davon über den Durst getrunken, aber am Montag wird sie wieder mit ihrem Stühlchen vorm Laden stehen. Frau Rottenbauer ist unverwüstlich.
    Sie sind alle über Nacht geblieben. Logisch, was hätten sie sonst tun sollen? Ein Taxi rufen? Guter Scherz. Auf den Putz gehauen haben wir kräftig, gemäß Frau Rottenbauers Ansage. Wie damals mit den Beatles. Es war vor Yoko Onos Zeiten, als John auch noch cool drauf war, hat sie später erzählt. Ich habe als einer der Ersten schlappgemacht, glaube ich, und bin gegen fünf ins Bett. Etienne und Heidi Klum waren, soweit meine Erinnerung mich nicht trügt, schon vorher weg. Ich will hier keine Tatsachenbehauptungen aufstellen, sie waren lediglich zum ziemlich gleichen Zeitpunkt im ziemlich gleichen Bereich des Hauses verschwunden, sind vorhin aber zeitlich kurz versetzt am Frühstückstisch erschienen, nachdem ich den Plattenspieler wieder angeschmissen hatte, um nicht jeden einzeln wecken zu müssen. Herr Müller und Katja waren gleich darauf auch da, Herr Jauch sowieso schon vorher wach, ihn habe ich auf der Terrasse beim Kaffeetrinken und Buchlesen angetroffen. Er wusste nicht mehr genau, wann die Übergabe sein sollte, daher hat er niemanden wecken wollen. Am einfachsten hätte er es wohl bei Frau Oberhaid gehabt, die auf dem Wohnzimmersofa im Sitzen eingeschlafen war.
    Ich fühle mich schon ein bisschen als schlechter Gastgeber, wir mussten unsere Gäste nämlich auf dem Hof sich selbst überlassen. Etienne wird mich per SMS auf dem Laufenden halten, wann Frau Rottenbauer zu den Lebenden zurückkehren wird, bis dahin wird er sich mit seiner Mutter und Heidi Klum am Frühstückstisch sicherlich nicht langweilen.
    Heidi Klum hatte uns, als wir schon im Auto saßen, unter ausschweifendem Winken mit beiden Händen und einem wunderschön geträllerten »Auf Wiedersehen« aus unserem eigenen Haus verabschiedet. Das wird mir im Gedächtnis bleiben. Es ist doch sehr wahrscheinlich, dass wir uns nicht mehr wiedersehen werden.
    »Jetzt rechts«, sagt Herr Müller.
    »Jetzt geht die wilde Fahrt so richtig los«, raunt Herr Jauch und kichert durch die Nase. Wir fahren auf die Autobahn.
    Freitag, 13.33
    Wir sind viel zu früh da. Momentan bin ich einfach froh, dass ich noch lebe. Herr Jauch ist wie ein Irrer gefahren. »Wie ein echter Rennfahrer«, hat er es ausgedrückt. »Ich hatte mal ein privates Fahrtraining mit Ralf Schumacher auf dem Nürburgring. Machen Sie sich mal keine Sorgen.«
    Wenn jemand ausdrücklich zu mir sagt, ich soll mir keine Sorgen machen, bewirkt das bei mir eher das Gegenteil. Ich hatte die komplette Autobahnfahrt lang beide Hände am Haltegriff über mir. Die anderen Verkehrsteilnehmer wissen ja nun nicht immer unbedingt, wie viel Ahnung und Geistesgesundheit derjenige besitzt, der mit zweihundert Sachen von hinten mit Lichthupe angebraust kommt. Das kann immer
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