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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Autoren: Christian Ritter
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einem Glashaus. So was habe ich noch nie gesehen vorher, rundum verglast, trotzdem eckig. So ist also das Lebensgefühl von Aquarienfischen. Wir sind uns insofern treu geblieben, als dass wir auch hier keine Nachbarn haben, das ist auch von Vorteil irgendwie. Kann uns niemand beobachten und uns um unseren ausufernden Luxus beneiden. Wenn es draußen hell ist, haben wir einen richtig, richtig schönen Ausblick. Alles weiß. Hier schneit es oft. Eigentlich schneit es andauernd.
    »Traumhaft«, hat Katja es genannt.
    »Traumhaft«, sagt sie auch jetzt wieder. »Traumhaft, Rodrigo. Mach genau so weiter. Hör nie mehr damit auf!«
    »Señorita!«, haucht Rodrigo, was bei ihm so viel bedeutet wie: »Wie Sie wünschen. Niemals. Ich werde auf alle Ewigkeit weitermassieren, auch wenn ich dabei draufgehe.«
    Ich hatte es für eine gute Gelegenheit gehalten, mal wieder meine Mutter zu kontaktieren und sie nach ein paar Lifestyle-Tipps für den dickeren Geldbeutel zu fragen. Weil ich die letzten Jahre angeblich sehr sparsam gelebt und einiges auf der hohen Kante habe und mir jetzt endlich mal was gönnen möchte. In ihrem Grundton lag ein bisschen Bedauern, sie hat wohl gedacht, ich spräche von ein paar Tausend Euro und würde das für viel Geld halten. Sie hat keine Ahnung, wie hoch meine hohe Kante seit Neuestem wirklich ist, zum Glück. Etwas anderes als einen bedauernden Ton mir gegenüber kenne ich außerdem gar nicht. Ich glaube, mein neuer Reichtum würde mir nicht so viel Freude bereiten, wenn sie davon wüsste.
    Jedenfalls hat das Telefonat und vor allem der Umstand, dass Katja es über Lautsprecher mitgehört hat, dann dazu geführt, dass wir Rodrigo haben einfliegen lassen. Herr Müller war schon ein bisschen eifersüchtig, da Rodrigo im Gegensatz zu ihm ein heißblütiger Südländer mit geschmeidigem Strandkörper ist. Das Problem konnte dann auf die Weise gelöst werden, dass Rodrigo Katja nur massieren darf, wenn Herr Müller erstens im Raum ist und sie zweitens durch das Guckloch des Massagetischs auf ein Foto von ihm schaut. Das macht sie jetzt.
    Ich muss zugeben, dass ich in der Zwischenzeit ebenfalls ein Fan von Rodrigos geschickten Händen und harten Griffen geworden bin. Wir bezahlen ihn immerhin nicht nur dafür, dass er Katja durchknetet. Wenn ich dran bin, kommt das Bild von Herrn Müller auf dem Boden allerdings weg.
    Herr Müller hat das Lehnteil seines geräumigen Schaffellsessels zurückgeklappt, überprüft nur ab und an mit argwöhnischem Blick die Massageaktion, wirkt ansonsten aber zufrieden. Mehr oder weniger. Herr Müller strahlt eigentlich immer eine Mischung aus Gleichgültigkeit und Mürrischkeit aus. Nennt man das Mürrischkeit? Jedenfalls hat er selten die Mundwinkel oben. Was ihn momentan vom absoluten Seelenfrieden abhält, habe ich schon längst entdeckt: Sein Glas ist leer. Er macht aber keine Anstalten, sich aus seiner Position herauszubegeben. Vielleicht ist eine Schildkröte irgendwann auch mehr oder weniger damit zufrieden, wenn sie hilflos auf ihrem Rückenpanzer liegt, denn schließlich: Man gewöhnt sich.
    Die Lösung des Problems liegt auf der Hand, und da ich auch bald in die Verlegenheit kommen werde, mein Glas auffüllen zu müssen und mich in ziemlich genau der gleichen Position, nur in einem anderen Schaffellsessel befinde, ergreife ich die Initiative:
    »Etienne! Rollst du bitte mal den Getränkewagen rein?«
    Etienne haben wir mitgenommen. Er war immer noch bei uns zu Hause, als wir von der Geldübergabe zurückkamen. Seine Mutter, Heidi Klum und Frau Rottenbauer waren auf seinen Wunsch hin ohne ihn vorgefahren. Er wollte wohl den Beweis erbringen, dass er als neuer Erwachsener Verantwortung übernehmen kann. Er hatte in Eigenregie alles aufgeräumt, gespült und wirklich sehr ordentlich gewischt, sogar in den unbefeierten Teilen des Hauses. Als wir zurückkamen, haben wir erst sehr gestaunt und ihm anschließend ein ordentliches Trinkgeld gegeben, etwa in Höhe eines früheren Monatslohns von mir, nebenbei auch noch als Geburtstagsgeschenk. Es dauerte dann nicht mehr lange, bis wir ihm alles verraten haben. Das meiste wusste er logischerweise schon. Nur die Höhe des Lösegelds war bis dahin noch unser Geheimnis gewesen. Und unser Plan, was wir überhaupt damit anstellen wollen. Den gab es nämlich nicht. Also hat Etienne eine Reise vorgeschlagen, einen ausgedehnten Urlaub, danach wäre immer noch genug übrig. Dass wir ihn mitnehmen sollten, hatte er gar nicht
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