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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Autoren: Christian Ritter
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drum.
    »Klar, die kriegen Sie wieder«, sage ich zu Frau Rottenbauer. Sie hat eine Tragetasche bestimmt bitter nötig nach hundert Entführungen mit Millionenlösegeldern.
    »Die sind ja in meiner Größe«, sagt Herr Jauch und streckt die Beine mit den goldenen Strümpfen dran in die Luft.
    Ich würde den Moment so gerne festhalten, aber Fotos sind streng verboten, das haben wir schon zu Beginn des Abends einhellig vereinbart. Es könnte irgendwann auf uns zurückfallen. Immerhin begehen wir hier nach wie vor ein Verbrechen, sogar in doppelter Ausführung.
    »Ich glaube, ich kann heute nicht mehr nach Hause fahren«, sagt Frau Oberhaid und wiehert fast, als sie geräuschvoll Luft ausstößt. Sie scheint sich mit Frau Rottenbauer heimlich einige Likörchen genehmigt zu haben.
    »Wer möchte denn heute schon nach Hause?!«, ruft Frau Rottenbauer ausgelassen. »Jetzt hauen wir auf den Putz! Wir machen die Nacht zum Tag! So wie ich damals mit den Beatles.«
    Freitag, 10.02
    Aua. Ich schließe sofort wieder die Augen, weil das Tageslicht mir Schmerzen bereitet. Hatte wohl keine Muße, die Rollläden herunterzulassen, als ich ins Bett gegangen bin. Ich spüre meine Augäpfel pochen, sie füllen so ziemlich meinen ganzen Kopf aus. Aua. Ich rolle mich auf den Rücken und strecke alle Anhängsel meines Körpers so weit durch wie möglich. Aua. 10.02 Uhr. Schön, mal ausschlafen zu können. Gibt ja nichts zu tun heute. Gibt ja nichts zu tun heute. Gibt ja nichts zu … Herrje! Wir müssen den Jauch nach Frankfurt bringen und das Lösegeld holen! Ich schnelle mit der oberen Körperhälfte nach oben. Aua!!! Gut, dann langsamer. »Dann langsamer«, sage ich, sehr langsam. Erst das linke Beinchen aus dem Bettchen, dann das rechte, dann den Rest. Dann so lange das eine Beinchen vors andere und umgekehrt, bis ich im Badezimmer angekommen bin. Ganz langsam. Wir haben noch fast eine ganze Stunde Zeit, bevor wir losmüssen. Mein Kopf fühlt sich wirklich ganz, ganz komisch an.
    Den Grund dafür erkenne ich, als ich vorm Spiegel stehe. Ich trage Herrn Jauchs Krawatte als Stirnband. »Wie in einer amerikanischen College-Komödie, wow«, sage ich. »Die Krawatte um die Stirn als Symbol der Ausgelassenheit. Ich voll crazy Typ.«
    Ich habe die Angewohnheit, Selbstgespräche zu führen, wenn ich verkatert bin. Zum Glück bin ich das nicht oft. Sonst müsste ich mir Sorgen machen. »Sonst müsste ich mir Sorgen machen«, beende ich meine Ausführungen, und mein Spiegelbild nickt mir zu. Ich entferne die Krawatte, hänge sie an die Türklinke und leite meine Morgenroutine ein. Es erleichtert die Sache, dass ich dazu nicht viel denken muss. Wer soll denn bloß später das Auto zum Bahnhof fahren? Ich bin nicht in der Lage dazu. Meine Duffy-Duck-Boxershort landet im Waschbecken und ich in der Dusche.
    Freitag, 11.35
    Herr Jauch fährt.
    »Jetzt wissen Sie, warum ich zwischendurch immer ein Glas Wasser getrunken habe. Beugt dem Kater am nächsten Tag vor«, sagt er. »Ich fahre unglaublich gerne Auto. Wir haben gar nicht viel über Autos geredet in den letzten Tagen. Schade eigentlich. Ich kenne mich da wirklich gut aus. Welche Autos hatten Sie denn schon, Herr Müller? Und wollen Sie sich eines von Ihrem Lösegeld kaufen? Ich berate Sie gerne.«
    »Ich glaube, Sie hätten da eben rechts abbiegen müssen«, sagt Herr Müller.
    »Huch. Nun ja, es wird sich noch eine Gelegenheit ergeben. Sagen Sie einfach, wann und wo. Ich hatte Mitte der Achtziger mal einen schicken flaschengrünen …«
    Er hört einfach nicht auf zu plappern. Das kann ich momentan gar nicht ertragen. Mein Kopfweh ist nicht unbedingt besser geworden. Wir hatten kein Aspirin im Haus. Die drei Tassen Kaffee haben auch nicht wirklich geholfen. Ich sitze hinter dem Fahrersitz, und ohne die konstante Frischluftzufuhr durch das einen Spaltbreit geöffnete Fenster würde es mir richtig dreckig gehen; so geht es mir nur ein bisschen dreckig. Katja sitzt neben mir auf der Rückbank und schläft mit dem Kopf am Fenster und offenem Mund, während Herr Müller versucht, uns als Beifahrer nach Frankfurt zu lotsen. Eigentlich wollten wir den Zug nehmen, aber es gab da eine Terminkollision zwischen der Abfahrtszeit des Zuges und unserer Ankunft am Bahnhof drüben im Dorf. Ohne Stau schaffen wir es pünktlich zur Übergabe, und Herr Jauch erwischt seinen ICE nach Berlin. Wir dürfen uns nur nicht mehr allzu oft verfahren.
    Herr Jauch trägt wieder sein Inkognito-Outfit, den schwarzen
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