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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission
Autoren: Joseph Wambaugh
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Schlucht schon innerhalb der Grenzen von San Diego, einer der reichsten Städte im reichsten Staate des reichsten Landes …
    Die Grenzgänger hatten den gesamte Nettowert ihres Lebens zusammengekratzt und verkauft, und sie schleppten alles, was sie besaßen und sich zusammenpumpen konnten, in ihren Strümpfen und ihrer Unterwäsche und oft in Beuteln und Bündeln mit sich herum. Gleichzeitig formierten sich in der Nähe der imaginären Linie ganze Banden von Gangstern, die an dieser Goldgrube in den Canyons, die jede Nacht geöffnet war, regelmäßig ihre helle Freude hatten. Die Grenzgänger wurden aus dem Hinterhalt überfallen, beraubt, ausgeplündert und ermordet, häufig genug schon in Rufweite der Beamten an der Grenzkontrollstelle der Vereinigten Staaten.
    Die Gangster waren nicht dumm. Sie lebten in Tijuana, »arbeiteten« jedoch auf der amerikanischen Seite, wo es für sie sicherer war. Die Gesetzeshüter von Tijuana können sehr unangenehm sein, wie die Gangster wußten.
    Und die Gangster kannten selten Erbarmen. Bei einem dieser Überfälle wurde ein junger Pollo-Vater mit seinem Baby im Arm niedergeschossen. Während er sterbend zwar noch auf mexikanischem Boden, aber kaum mehr als drei Meter von der Grenze zum gelobten Land entfernt lag, klauten die Gangster den überlebenden Mitgliedern seiner Gruppe buchstäblich alles, was in irgendeiner Form von Wert war. Ein verwaistes, blutbespritztes und vor Schmerzen schreiendes Kind mit dicken, runden Babyknien, in dessen Auge und Hirn Schrotkörner steckten, wurde nach Tijuana zurückgeschleppt.
    Derartige Dinge bedrückten den Lieutenant Dick Snider nach wie vor ebenso, wie sie ihn schon vor zwanzig Jahren bedrückt hatten. Nachts lag er in diesen Canyons mutterseelenallein im Gebüsch, hielt das Fernglas in den riesigen, lederartigen Pranken und starrte aus den schiefergrauen Augen, die ihm durch den Rauch der ihm ständig im Mundwinkel hängenden Zigarette ständig tränten, in die Gegend. In seinem eigenen Leben hatte sich in den mittlerweile vergangenen Jahren vieles gebessert. Aber bei den Ausländern? Die Wirtschaftslage in Mexiko war katastrophal. Im übrigen Lateinamerika war sie hoffnungslos.
    Im Jahre 1976 wurden bereits eine Menge ebenso schöner wie unnützer Reden über die Lage der illegalen Einwanderer gehalten. Das amerikanische Außenministerium sah sich zu dem Eingeständnis gezwungen, dieses Dilemma in seiner Gesamtheit sei unlösbar, und versprach der Öffentlichkeit, man werde alles daransetzen, die Angelegenheit wenigstens ein bißchen besser zu »deichseln«. Die fünfhundert Beamten der Border Patrol im Chula-Vista-Grenzbereich griffen derzeit pro Monat weit mehr als zwanzigtausend illegal eingewanderte Ausländer auf, die nahezu sämtlich im Bereich der paar Quadratmeilen der Canyonlandschaft diesseits der Stadtgrenzen von San Diego herübergekommen waren, in der Nähe des betriebsamsten Grenzübergangs der Welt also. Die Männer der Border Patrol hatten Hubschrauber, Pferde, Geländewagen mit Vierradantrieb, Infrarotnachtgläser, magnetische Ortungsgeräte sowie seismographische Ortungsgeräte zur Verfügung.
    Nicht selten passierte es, daß sich ein Beamter der Border Patrol in einem Spargelfeld auf der westlichen Seite der Interstate 5 herumtrieb, mit der Taschenlampe einen Pollo anstrahlte und ihm befahl, stehenzubleiben und sich zu ergeben. Und sich dann unvermittelt von fünfzig weiteren Grenzgängern umringt sah, die der Ansicht gewesen waren, sein Befehl habe ihnen gegolten.
    Die siebzigtausendköpfige Einwohnerschaft der nahe gelegenen Stadt Oceanside zum Beispiel vermehrte sich während der Erntezeit um fünfzigtausend unterwürfige Arbeiter ohne Papiere. Im Gesetz stand, daß ein Farmer sich nicht etwa bereits schuldig machte, wenn er Illegale beschäftigte, sondern erst dadurch, daß er sie beherbergte. Deshalb schliefen sie im Gestrüpp, unter Bäumen oder in Pappkartons. Die Nächte von San Diego können sehr kalt sein.
    Es kam hinzu, daß Arbeitsvermittler und Farmer regelmäßig mehr als lautstark öffentlich ihre Interessen vertraten. Die Farmer behaupteten, eine einzelne Erdbeere würde exakt das kosten, was man jetzt für die einzelne Avocado bezahlen müsse, wenn man auf die Bezahlung und Unterbringung amerikanischer Arbeiter angewiesen wäre (vorausgesetzt, daß die sich überhaupt zu körperlicher Arbeit herablassen würden). Die einzelne Avocado würde so viel kosten, wie man jetzt für einen Mercedes berappen
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