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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission
Autoren: Joseph Wambaugh
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Grenzkontrollpunkt der Vereinigten Staaten treffen. Das ist zwar eine Übertreibung, aber sinngemäß richtig. Damals, als der Border-Patrol-Beamte Dick Snider noch die Flure des kleinen Hotels hinuntersegelte, bestand die Ansiedlung nahezu ausschließlich aus Müllgruben, Eisenbahnbrücken, stucküberladenen oder unverputzten Häusern mit Bierkaschemmen sowie aus Straßen, die so ölverschmiert und blasig waren wie zu fettige Tortillas.
    Burl Richard Snider war im südlichen Arkansas geboren worden, im winzigen Städtchen Silva, das praktisch nur aus einer Straßenkreuzung bestand, über die die Zeit und die Kartographen hinweggegangen sind. Seine Familie bestand aus Farmern, und er wuchs vor allem im südöstlichen Missouri auf, im »Zipfel«, wo der Staat Missouri nach Arkansas hineinragt. Die alljährlichen Überschwemmungen des Mississippi zwangen seine Familie, immer wieder nach Kalifornien zu fahren und im San Joaquin Valley auf Arbeitssuche zu gehen wie in Früchte des Zorns. Einmal waren sie zwei Jahre lang unterwegs, und in dieser Zeit konnte der Junge häufig mit mexikanischen Kindern spielen, deren Familien ebenfalls Reisen von weither gemacht hatten – mörderische, mühselige Reisen. Der Farmersohn aus dem »Zipfel« fand, daß sie ihm sehr ähnlich waren, diese mexikanischen Kinder. Er schnappte Brocken ihrer Sprache auf, und er lernte Spanisch in der Schule, wobei er die Erfahrung machte, daß er durch das Spanisch auch in anderen Fächern viel besser mitkam.
    »Zum erstenmal kam mir sogar Englisch wie ein Kinderspiel vor«, erinnerte er sich. »Meine Spanischkenntnisse waren ungeheuer wichtig für mich, als ich mit der Ausbildung bei der Border Patrol anfing. Andere Kollegen scheiterten gerade daran.«
    Allerdings hatte der junge Dick Snider schon einiges hinter sich, als er in die Border Patrol eintrat. Er heiratete mit siebzehn und heuerte auf den kalifornischen Ölfeldern an, wo er für einen Jungen – immerhin einen sehr großen Jungen – ziemlich viel verdiente. Er und seine nicht minder junge Frau setzten zwei Babys in die Welt, und alles lief wie geschmiert. Dann bekam sein ältestes Kind, Ricky, eine böse Infektion am Kehlkopf.
    Ein Menschenalter später wirkte er immer noch, sagen wir: reichlich verstört, wenn er diese Geschichte zu erzählen versuchte.
    Ricky war gerade drei Jahre alt geworden. Ricky hatte eines Nachts erhebliche Atembeschwerden. Am nächsten Morgen war es schlimmer. Dick Snider brachte seinen Sohn Hals über Kopf ins Krankenhaus. Ricky begann zu röcheln. Ricky drohte zu ersticken. Dick Snider mußte erleben, wie das Gesicht seines Sohnes vor seinen Augen schwarzblau anlief. Der Sohn jammerte, sein Vater solle ihm helfen. Die Ärzte öffneten den Hals des Jungen mit einem Luftröhrenschnitt. Die Herzlungenmaschine ging kaputt. Der Junge starb sechs Stunden später, am Nachmittag um zwei. Es hatte keine Hilfe mehr gegeben.
    »Das war alles sehr verwirrend«, erinnerte er sich. »Ich war damals ein paar Minuten nicht klar im Kopf. Dann war ich wieder da. Nicht klar im Kopf und dann wieder da. Ich kann mich an die Einzelheiten nicht mehr erinnern. Ich kann mich nur daran erinnern, daß er mich am Ende klar erkannt hatte. Die Ärzte wollten mir weismachen, daß er mich nicht erkannt haben konnte. Ich bin aber ganz sicher, daß er mich erkannt hat. Sein Haar war weizenblond, und er hatte braune Augen. Immer wollte er das tun, was ich gerade machte. Einmal hat er mich fast zu Tode erschreckt, als er in einen Pferch voller Pferde rannte. Er wollte sie zusammentreiben, sagte er. Er sagte, wenn sein Daddy so was könne … na ja … er war ein tolles Kind.«
    Dick Snider und seine Frau hatten zwar noch ein Töchterchen, aber nach dem Tod des Jungen war alles anders als früher. Sie blieben noch ein paar trübselige Jahre zusammen und ließen sich dann scheiden.
    Er war schließlich total allein, in einem miesen, kleinen Zimmer in diesem Hotel in San Ysidro, lehnte seine lange Gestalt aus dem Fenster in die kühlen Nächte von San Diego und beobachtete das Licht über Tijuana.
    Männer spanischer Abstammung waren in Dicks Sniders Kurs während der Ausbildung bei der Border Patrol gar nicht vertreten. In den Baracken von El Paso war er der Nachwuchsmann mit den besten Spanischkenntnissen. Dick Snider, der seit eh und je auf der Seite des Gesetzes stehen wollte, wurde rasch Ermittlungsbeamter.
    »Ich hab' oft beobachten können, wie die Cops von San Diego in den Straßen von
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