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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission
Autoren: Joseph Wambaugh
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Zahlen aus dem Ärmel schütteln als die Manager von Sportclubs. Und genau wie die Manager von Sportclubs, die Meinungsforscher, die Politiker oder die Generäle im Pentagon können sie ihre Statistiken immer haargenau so auslegen, wie es ihnen gerade in den Kram paßt. Die Ergebnisse einiger Statistiken allerdings kann selbst der einfallsreichste polizeiliche Bürohengst nur mit Mühe wegdiskutieren. Eine davon ist die Mordstatistik. Entweder findet man auf seiner Streife einen toten Knaben, oder man findet keinen. Und Morde gab's ja nun eher zu viele als zu wenige entlang der imaginären Grenze, die nach der unumstößlichen Überzeugung Dick Sniders einzig und allein dazu da war, zwei Wirtschaftssysteme voneinander zu trennen. Wahrscheinlich wußte niemand genau, wie viele Morde sich auf diesem Stück amerikanischen Bodens tatsächlich ereigneten, weil es beispielsweise zahlreiche bestätigte Berichte darüber gab, daß verzweifelte Pollos ihre umgebrachten Männer, Frauen, Brüder, Schwestern, Kinder über die mexikanische Grenze zurückgeschleppt hatten, bloß, um sie dort zu begraben.
    Allen Cops, die jemals mit illegal eingereisten Ausländern zu tun gehabt hatten, war überdies die Tatsache bekannt, daß Pollos, die in der Nacht überfallen worden waren, das Verbrechen ganz gewiß nicht automatisch den US-Behörden melden würden, weil sie normalerweise vor den Autoritäten beider Länder Angst hatten, von der drohenden Deportation erst gar nicht zu reden. Insofern bekamen die Polizeistatistiker von San Diego auch nur dann Wind von den Verbrechen, wenn die Border Patrol oder die eigenen Beamten buchstäblich über irgendwelche Opfer stolperten, die von den Gangsterbanden wie die Weihnachtsgänse ausgenommen oder kurzerhand erdrosselt worden waren und an der Stelle, an der es sie erwischt hatte, häufig genug blutige Spuren im Staub hinterlassen hatten. Manche Leute, die einen Überfall überlebt hatten, waren zudem derart brutal zugerichtet worden, daß ein Krankenhausaufenthalt weitaus dringlicher war als eine Deportation. Im Grunde war es jedem überlassen, hinsichtlich der wahren Zahl der Opfer eigene Vermutungen anzustellen.
    Dick Snider, jedenfalls, war es schließlich doch mehr als leid, dauernd mitternächtens in diesen Canyons herumzukriechen und sich die Schüsse und Schreie in der Dunkelheit bloß anzuhören. Er erinnerte sich an seine alten Tage bei der Border Patrol, als sie einen einzelnen Grenzgänger hin und wieder zehn Meilen weit verfolgt hatten, weil das Verhindern einer illegalen Einwanderung seinerzeit noch als ein Höhepunkt ihrer Arbeit galt. Er sagte sich, daß es bei der Border Patrol heutzutage eigentlich sogar schon eine ganze Reihe überarbeiteter, frustrierter, täglich im Dreck wühlender Männer geben mußte, die es insgeheim gar nicht so schlecht fanden, daß die Gangster aus Tijuana die Grenzgänger draußen im Niemandsland auf ihre Art dezimierten. Allen Ernstes sagte er sich auch, daß im Grunde sogar Leute, die normalerweise eher mitfühlend waren, den Gangsterbanden Sympathien entgegenbringen mußten, weil die Verbrecher vermutlich doch eine ziemliche Anzahl derer abschreckten, die sich sonst den nächtlichen Einwandererbataillonen angeschlossen hätten.
    Allein in diesem Jahr, schätzte die amerikanische Border Patrol, würde sie mehr als 250.000 illegale Grenzgänger festnehmen. Nach den mehr oder weniger frisierten Statistiken, die sie regelmäßig an die Presse gab, wurde im Durchschnitt jeder dritte Grenzgänger aufgegriffen. Das allerdings galt bei den Cops als »Halleluja«, also als Jubeldurchschnitt. Des weiteren war die strafrechtliche Verfolgung von Ausländern wegen illegaler Einwanderung buchstäblich ein Alptraum. Es war vorgekommen, daß auf drei oder vier Festnahmen bloß eine Verurteilung wegen eines minderen Vergehens folgte, was dann unter Umständen fünf Tage Haft bedeuten konnte. Eine illegale Wiedereinwanderung nach einer einmal verfügten Deportation galt dann formaljuristisch zwar als Verbrechen, war aber ungewöhnlich schwer nachzuweisen. Der betreffende Ermittlungsbeamte der Border Patrol mußte sich beglaubigte Erklärungen über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einschlägiger Berichte aus Washington besorgen. Ausländern wurden indessen selten die Fingerabdrücke genommen, und mal ganz abgesehen davon, daß die Leute normalerweise sowieso ohne Papiere kamen, änderten sie bei neuerlichen Versuchen oft genug auch noch ihre Namen, so daß es
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