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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission
Autoren: Joseph Wambaugh
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San Ysidro Jagd auf die illegalen Grenzgänger machten«, erinnerte er sich. »Ich saß in meiner miesen Hucke und guckte ihnen von da aus zu. Ich mußte viel über das Ausländerproblem nachdenken.«
    Alles in allem war es für ihn nicht leicht, seine getrennt von ihm lebende Frau und seine Tochter zu ernähren. Daher die Käsesandwiches und ein bißchen Milch, wenn er Glück hatte. Und Saufen, weil das häufig viel wichtiger war als Essen – dann nämlich, wenn man wie er dazu neigte, über eine kaputte Familie und über einen Sohn nachzudenken, der im Sterben lag und um Hilfe schrie. Man kann sich leicht vorstellen, was er sich da zusammenphantasierte, nachts in einem lausigen Hotel, immer bloß eine Armlänge weg von seinem Dienstrevolver, ständig mit der Erinnerung an ein totes Kind beschäftigt. Ich hab' ihm nicht helfen können.
    Auf solche Weise geraten einsame und traurige Menschen ins Grübeln. Sie kommen auf komische Ideen. Sie trinken und starren aus dem Fenster auf elende Promenadenmischungen, die ihre wunden und blutigen Ärsche über das kaputte Pflaster schleppen, Hunde, die nur deshalb über die imaginäre Grenze kommen, weil es da mehr zu stöbern gibt. Und diese Leute starren auf die nach illegalen Ausländern jagenden Cops, die ein verrücktes Spiel spielen, das dem heutigen Pac-Man ähnlicher ist als allem anderen. Wenigstens dann, wenn man sich das vom günstigen Blickpunkt eines sarggroßen Raumes aus anschaut, der sich Hochzeitssuite nennt.
    Die Idee, die ihm vor einem Menschenalter kam, war die: Es gibt hier gar keine echte Grenze zwischen diesen beiden Staaten. Es gibt sie allenfalls zwischen den beiden Wirtschaftssystemen.
    Auf dieser Seite der Grenze war nachts gar nicht viel von Not und Elend zu sehen. Und vielleicht wurde seinerzeit gerade deshalb die Idee für jenes spätere Experiment der Polizei von San Diego geboren. Bei der Beobachtung einer frühen Version von Pac-Man, in der amerikanische Gesetzeshüter mexikanische Ausländer auffraßen, um sie dann weiter südlich wieder auszuspucken. Und in der sie sie in der nächsten Nacht abermals auffraßen, nur, um sie dann weiter im Süden ein weiteres Mal auszuspucken. Und in der nächsten Nacht schon wieder dasselbe.
    Im Grunde läßt es sich dann sehr leicht begreifen, weshalb sich ein junger Beamter der Border Patrol mit diesen Pollos – den »Hühnchen«, wie man diese Leute, die durch ihre Lebensumstände immer wieder nach Norden getrieben wurden, bezeichnenderweise nannte – mehr und mehr identifizierte. Und sich mehr und mehr zu fragen begann, wie viele von ihnen einen sterbenden Sohn schreien gehört hatten. Hilf mir.
    Damals, jedenfalls, fing der Mann von der Border Patrol in seiner Hochzeitssuite an, sich ernsthaft mit dem Elend der illegalen Grenzgänger auseinanderzusetzen. Bloß, um nicht dauernd über sein eigenes Elend nachdenken zu müssen.

 

    1. KAPITEL
    Die fixe Idee
    S eit Burl Richard Snider aus dem Hotel in San Ysidro ausgezogen war, hatte er sich ein halbes Leben lang rumgetrieben. Er war von der Border Patrol weggegangen und hatte als Nationalpark-Ranger auf der anderen Seite der Vereinigten Staaten gearbeitet, in Washington. Er hatte wieder geheiratet, war nach Westen zurückgegangen und besaß mittlerweile noch zwei weitere Kinder. Und er war in das San Diego Police Department eingetreten.
    Im Herbst 1976 lag Lieutenant Dick Snider – mit inzwischen sechzehn Dienstjahren ein Veteran des Police Departments, alt genug also, um zu wissen, was so läuft – häufig flach auf dem Bauch in einem Canyon und beobachtete ein nächtliches Ritual. Die Grenzgänger rotteten sich entlang dieser imaginären Linie zwischen zwei Städten, zwei Staaten, zwei Wirtschaftssystemen zusammen, und sobald die Sonne unterging, stiefelten sie los. In den alten Tagen bei der Border Patrol versuchten es in einer günstigen Nacht ein paar Dutzend. Heutzutage kamen sie in diesem Bereich von nur wenigen Quadratmeilen, praktisch einem Niemandsland zwischen den großen Städten Tijuana, Mexiko, und San Diego, USA, in ganzen Heerscharen. Manchmal zehntausend pro Woche. Und in den Canyons dieser Gegend lauerten Halsabschneider und Gangster aus Tijuana, die sich auf ihre Weise der Pollos annahmen, wenn sie nachts die Grenze überquerten. Eine der Erdspalten in diesem Niemandsland wird aus triftigen Gründen Deadman's Canyon genannt. Es ist eine von Gefahr umwitterte, blutgetränkte, mit Mesquitesträuchern und Kakteen bewachsene
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