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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin
Autoren: Petra Durst-Benning
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Mannes.
    »Karl, stell dir vor: wir zwei und ein kleines Mädchen! Du könntest Wera bei deinen Spaziergängen mitnehmen, ihr Stuttgart zeigen. Wir könnten zusammen mit ihr in der Bibel lesen. Und zu dritt musizieren. Mit ihren neun Jahren ist sie bestimmt schon sehr klug undverständig, aber dennoch kindlich genug für Späße wie eine Schlittenfahrt im Winter!«
    »Die Hügel direkt von der Villa hinab, das wäre was! Und die Stuttgarter Seen sind ideal zum Eislaufen. Ein Besuch in der Wilhelma würde der Kleinen sicher ebenfalls gefallen, meinst du nicht auch?« Bereitwillig spielte Karl mit.
    »Ach Karl, wir wären endlich eine richtige Familie …«
    Für einen langen Moment schauten sich die beiden Eheleute in die Augen. Und wieder spürte Evelyn das unerklärlich starke, unsichtbare Band, das dieses ungleiche Paar zusammenschweißte. War es wirklich Liebe? Abrupt stand sie auf, um endlich die Vorhänge aufzuziehen. Sogleich tauchten die einfallenden Sonnenstrahlen den Salon in ein goldenes Licht.
    Karl blinzelte heftig. »Aber wie würde ich mich mit unserem Kind unterhalten? Deutsch wird die kleine Wera ja nicht können, spricht sie denn wenigstens Französisch? Du weißt ja, wie schlecht mein Russisch ist.«
    » Unser Kind – wie schön sich das anhört!« Olly strahlte ihren Mann an.
    »Ich habe noch nicht ja gesagt. Solch ein Schritt will wohlüberlegt sein. Was wird mein Vater dazu sagen, dass wir uns mit dem Gedanken tragen, ein fremdes Kind an den Hof zu holen? Wäre das in seinem Zustand nicht zu anstrengend für ihn?« Karl warf einen fast angstvollen Blick in Richtung Schloss.
    Sein Vater. Das hatte ja kommen müssen, schoss es Evelyn durch den Kopf.
    »Deinen Vater wollen wir mit dieser Entscheidung nicht belästigen, sie ist allein unsere Angelegenheit. Schließlich benötigt der König seine ganze Kraft, um zu genesen«, sagte Olly und tätschelte Karls Hand in mütterlicher Manier. »Außerdem ist Weras Aufenthalt ja nur für eine gewisse Dauer.« Der gütige Tonfall verschwand, Ollys sanfte Miene wurde plötzlich eisern. »Das Kind kommt. Daran gibt es nichts zu diskutieren!«
    *
    Mitzusammengekniffenen Augen schaute sich Olly in ihrem Schlafzimmer um. Wie Karls und ihr gemeinsamer Schlafraum war auch dieser in dunklen Farben gehalten: Nachtblau, Weinrot, Tannengrün. Die Möbel waren schwer und ausladend, teilweise mit Gold verziert, die Vorhänge aus weinrotem Samt. Als sie vor knapp neun Jahren das Kronprinzenpalais bezogen hatten, hatte sich Olly bewusst für diese schwermütig anmutende Farbgebung entschieden. Sie fühlte sich dadurch an die Salons des Winterpalastes in St. Petersburg erinnert, in denen gegen die Eiseskälte des Winters stets ein Feuer prasselte. Das Schwelgen in satten Farben sollte außerdem einen Gegenpol zu dem ansonsten sehr spröden, geradlinigen Bau der Kronprinzenresidenz bilden.
    Auf dem Boden sitzend, betrachtete Olly skeptisch ihre Tischgruppe am Fenster. Wirkten die Möbel nicht zu düster? Es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, wie sie mit Wera auf dem Schoß in einem der dunkelblauen Sessel saß, um ihr vorzulesen. Mochten kleine Mädchen nicht lieber zarte Pastellfarben? Rosa, Hellgrün, Himmelblau? Eine Gruppe von weißen Korbmöbeln, dazu himmelblaue Kissen, golden bestickt – das würde Wera bestimmt gefallen!
    Gleich morgen wollte sie sich auf die Suche nach geeignetem Interieur machen, beschloss Olga, als ihr ein weiterer Gedanke durch den Kopf schoss: Welchen Raum würde sie eigentlich als Kinderzimmer umgestalten?
    »Eure Hoheit, sind Sie hier? Ich habe neuen Wein mitgebracht, er schmeckt herrlich nach Herbst und Erntezeit!« Mit einem Tablett, auf dem eine Karaffe und zwei Gläser standen, betrat Evelyn von Massenbach das Schlafzimmer.
    »Wollen Sie etwa verreisen?« Sie nickte mit ihrem Kinn in Richtung des großen Reisekoffers, den Olly unter Aufbietung sämtlicher Kräfte in die Mitte des Raums bugsiert hatte.
    »Warum sollte ich?« Schmunzelnd zog Olly aus den Tiefen des Koffers eine Puppe, ein hölzernes Pferd und eine Spieluhr hervor. »Das ist mein altes Spielzeug. Ich habe den Koffer vorhin von der Bühne bringen lassen.«
    Evelynstellte das Tablett auf dem Tisch am Fenster ab, kniete sich neben Olly nieder und strich andächtig über das Holzpferd. »Man sieht jeden Muskel und jedes Haar der Mähne. Das ist aus wahrer Künstlerhand.« Beschützend legte sie ihren Arm um das Pferd. »Für ein Kind ist es viel zu schade!«
    Olly lachte.
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