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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin
Autoren: Petra Durst-Benning
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»Von wegen. Ich kann es kaum erwarten, all das hier gemeinsam mit Wera anzuschauen. Was meinst du, Eve, ob kleine Mädchen Gefallen hieran finden?« Sie hielt eine filigrane Spieluhr, die wie ein Karussell gearbeitet war, in die Höhe. »Meine Schwestern und ich – wir liebten dieses Stück, nie wurden wir müde zuzusehen, wie sich die Pferde zur Musik drehten.«
    Vorsichtig nahm Evelyn die Spieluhr an sich. »Doch nicht so etwas Schönes! Jetzt haben diese herrlichen Spielsachen so lange gehalten, da wäre es doch schade, wenn sie durch grobe Kinderhände kaputtgingen.«
    »Du und deine schwäbische Sparsamkeit«, rügte Olly ihre Hofdame, die viel eher eine Freundin war, lachend. »Wera ist doch kein wilder Lausejunge, sie wird schon sorgsam und liebevoll mit den Dingen umgehen.«
    Eine Zeitlang waren sie einträchtig damit beschäftigt, den Koffer zu leeren. Puppen, Kreisel, eine hölzerne Kutsche, noch mehr Pferde kamen zum Vorschein. Alles war etwas verstaubt, aber in bester Verfassung.
    Glücklich schaute Olly auf den mit Spielzeug übersäten Teppich.
    »Dass meine Kindersachen nach siebzehn Jahren Ehe doch noch zum Einsatz kommen würden, daran habe ich nicht mehr geglaubt.« Noch während sie sprach, spürte sie den altbekannten Schmerz in sich aufwallen. Es tat noch immer so weh.
    Ein eigener Herd. Eine große Kinderschar. Und sie mittendrin. Das hatte sie sich mehr als alles andere gewünscht. Und geglaubt, dass diese Wünsche für eine russische Zarentochter ziemlich schlicht gewesen waren. Der liebe Gott hatte sie ihr dennoch nicht erfüllt.
    Alle um sie herum hatten Kinder bekommen: ihre Schwester Mary als Erste, dann Cerise, ihre Schwägerin. Kostys Frau Sanny. UndKarls Schwestern. Auguste, die jüngste, hatte sechs Kinder! Vier Buben und zwei Mädchen. Aber nicht sie war es, die Olly spüren ließ, dass sie den Anforderungen an eine Kronprinzessin nicht entsprach. Dass sie minderwertig war. Diese Aufgabe hatte sich Karls ältere Schwester Katharina zu eigen gemacht. Sie ließ keine Gelegenheit aus, mit ihrem Sohn Wily zu prahlen. Sie hatte den erforderlichen männlichen Nachfolger geboren, wohingegen Olly an dieser einen, dieser einzig wichtigen Aufgabe kläglich gescheitert war. Dass dieses Scheitern womöglich nicht allein mit ihr zu tun hatte, interessierte niemanden. Wenn ihr alle nur wüsstet!, dachte Olly wieder einmal bitter.
    Sie nahm eine in Lumpen gekleidete Puppe in die Hand, deren Haare völlig verfilzt waren. Der Anblick ließ sie den Schmerz der vergangenen Jahre vergessen. Sie konnte sich gar nicht daran erinnern, dass sie ihre Lieblingspuppe einst mit nach Stuttgart genommen hatte.
    »Dieses ramponierte Etwas heißt Luisa. Die Arme hat bei mir ziemlich viel aushalten müssen. Was meinst du, Eve, soll ich sie gleich aussortieren? Bestimmt ist Wera Besseres gewohnt.«
    Evelyn, die zum Tisch gegangen war und zwei Gläser neuen Wein einschenkte, sagte: »Sie freuen sich sehr auf Ihre Patentochter …«
    »Ich kann es kaum erwarten, sie in meine Arme zu schließen.« Olly nahm Evelyn ein Glas ab und prostete ihr damit zu. »Ich habe meinen Brief an Sascha vorhin aufgegeben. Und Kosty und Sanny habe ich auch geschrieben, sie sollen wissen, dass Wera bei uns herzlich willkommen ist. Jahrelang habe ich bedauert, mein Patenkind so selten sehen zu können. Ich weiß nicht einmal, wie groß sie inzwischen ist und wie sie aussieht.« Liebevoll strich sie Luisa die krausen Haare aus der Stirn. »Wera ist ein ganz besonderes Mädchen, aufgeweckt, flink und lebhaft. Wenn ich nur an ihre Taufe denke! Geschrien hat sie auf meinem Arm wie am Spieß, ihr kleines Gesicht ist feuerrot angelaufen. Natürlich dachte ich, ich sei schuld, würde das Kind nicht richtig halten. Der Bischof war von Weras Geschrei derart irritiert, dass er seinen Taufspruch so schnell heruntergerasselt hat, wie ich es noch nie erlebt hatte.«
    Evelynstimmte in Ollys Lachen ein, dann sagte sie: »Ich möchte Ihre Freude nicht dämpfen, ganz im Gegenteil, ich freue mich sehr mit Ihnen. Aber was ist, wenn das Kind gar nicht von seinen Geschwistern und Eltern fortwill?«
    Olly runzelte die Stirn. »Kosty und Sanny haben für Wera doch eh keine Zeit, jetzt, wo sie sich so intensiv um Olgatas Bräutigamschau kümmern. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es  war, als Mutter mit Mary unterwegs war. Während die beiden einen Ball und Empfang nach dem anderen besuchten, saß ich eifersüchtig zu Hause und fühlte mich wie das
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