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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin
Autoren: Petra Durst-Benning
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ignorieren. Der elegante Salon, von Olly mit feinsten Möbeln, Bildern und Accessoires eingerichtet, kam ihr auf einmal stickig vor. Am liebsten hätte sie eigenhändig die schweren Samtvorhänge aufgezogen, um Licht und frische Luft in den Raum zu lassen.
    In neutraler Stimmlage fuhr sie fort, den Zeitungsartikel über den Frankfurter Fürstentag vorzulesen, und zumindest Olly schien er sehr zu interessieren. Karl widmete sich derweil eingehend seinem üppigen Morgenmahl. Dass Preußens König Wilhelm I. dem Treffen in Frankfurt ferngeblieben war, welches daraufhin ohne Ergebnis zu Ende ging, schien den Kronprinzen weniger zu interessieren als die gebundene Rinderconsommé, von der er sich nun schon zum zweiten Mal auftragen ließ. Die vergangene Nacht musste anstrengend gewesen sein, wenn der Herr einen solchen Hunger verspürte. Der Anblick, wie er tief über den Teller gebeugt seineSuppe verschlang, ließ Evelyns Ärger erneut aufwallen. Wer würde denn in absehbarer Zeit König von Württemberg werden und große Politik machen? Doch nicht Olly! Trotzdem war es die russische Zarentochter, die sich – im Gegensatz zu ihrem Mann – regelmäßig über die Weltpolitik informierte.
    Es war Evelyns Aufgabe, aus dem dicken Stapel deutscher und französischer Tageszeitungen, der täglich angeliefert wurde, wichtige Berichte herauszupicken und beim Frühstück vorzulesen. Anschließend saß die Kronprinzessin dann meist stundenlang an ihrem Schreibtisch und schrieb Briefe an ihr vertraute Herren aus Politik, Wissenschaft und Kultur, in denen sie deren politische Einschätzungen erfragte oder selbst ihre Meinung äußerte. Vor allem der Briefwechsel mit dem russischen Staatskanzler Gortschakow, den Olly aus seiner Zeit als Gesandter in Stuttgart sehr gut kannte, war ihr wichtig. Was würde eine so kluge Prinzessin alles ausrichten können, wenn man sie nur ließe! Evelyn war es rätselhaft, wie die Schwester des russischen Zaren es aushielt, seit Jahren zu politischer Untätigkeit verdammt zu sein. Eine Untätigkeit, unter der sie unbestritten litt, die aber ihrem Mann Karl nichts auszumachen schien …
    Was für ein seltsames Paar. In den zwölf Jahren, in denen sie nun schon als Hofdame und engste Freundin an Ollys Seite war, war es ihr nicht gelungen, das Geheimnis dieser Ehe zu lüften.
    Ein Seufzen unterdrückend, nahm Evelyn die nächste Zeitung zur Hand und begann zu lesen:
    »Die Hamburger St.-Nikolai-Kirche wurde im laufenden Jahr so weit fertiggestellt, dass sie am 27 . September eingeweiht werden konnte. Obwohl die Bauarbeiten des Turms, der einmal hundertfünfzig Meter hoch werden soll, noch andauern, gilt sie schon heute als bisher höchstes Gebäude der Welt.« Evelyn, die wusste, wie abgöttisch Olly ihren Vater, den Zaren Nikolaus, über dessen Tod hinaus verehrte, hatte diese eher zweitrangige Nachricht aufgrund der Namensgleichheit bewusst ausgewählt.
    Wie erwartet erschien auf Olgas vornehmer Miene ein zartes Lächeln. »Was für ein schöner Name! Ich nehme trotzdem nicht an,dass es in irgendeiner Form mit meinem Vater zu tun hat. Wahrscheinlich ist die Kirche vielmehr dem heiligen Nikolaus gewidmet.«
    Evelyn bejahte dies und blätterte eine Seite weiter. Dort hatte sie einen Bericht über die erste Hundeausstellung Österreichs eingerahmt. Immerhin war Olly eine große Hundeliebhaberin, wovon ihr Windspiel zeugte, das ihr nie von der Seite wich.
    »Es ist übrigens ein Brief aus St. Petersburg angekommen. Sascha hat mir geschrieben …«, kam es unvermittelt von Olly, bevor Evelyn zu lesen beginnen konnte.
    Zum ersten Mal an diesem Morgen horchte der Kronprinz auf. »Der Zar hat geschrieben? Kommt Sascha uns etwa besuchen?« Ein Leuchten zog über sein Gesicht, das Evelyn trotz allem berührte.
    Es war wirklich ein Jammer: Einzig bei Olly und ihrer Familie fand Karl die Zuneigung, die ihm sein eigener Vater und seine Schwestern seit jeher versagten. In den Augen König Wilhelms war Karl nur ein dummer, nichtsnutziger Faulpelz. Anstatt seinen einzigen Sohn an die zukünftige Aufgabe als Regent von Württemberg heranzuführen, hielt er ihn seit Jahren von jeglichen Regierungsgeschäften fern. Ihn – und Olly gleich mit dazu. Karls Schwestern, die nichts unversucht ließen, um sich beim König einzuschmeicheln, war das nur recht. Königin Pauline versuchte vergeblich, die Animositäten zu beseitigen – eine Hilfe war sie ihrem Sohn jedoch nicht. Was für eine Familie!
    »Ein Besuch steht nicht
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