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Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov

Titel: Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
Autoren: Sergej Lukianenko
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    EIN FOTO FÜR DIE ZEITUNG
    Es geschah in einem fremden Stadtviertel. Ich balancierte eine schmale Bordsteinkante entlang und hielt dabei die Arme gespreizt, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Das war natürlich kindisch, aber ich hatte einfach schlechte Laune.
    Der Sommer verlief trostlos. Dabei hatte er ganz gut angefangen: Die siebte Klasse hatte ich mit tadellosen Noten abgeschlossen und rückte gleich in die neunte Klasse vor. Das lag nicht daran, dass ich ein Wunderkind bin und den Stoff der achten Klasse in ein paar Wochen lernen kann. Es ergab sich durch eine alberne Reform, der zufolge die Schule in Zukunft im Alter von sechs Jahren beginnen sollte und die Gesamtschulzeit auf elf Jahre begrenzt wurde. Deshalb wurden wir alle von der siebten in die neunte Klasse versetzt, was uns natürlich nur recht war. Wenn man nach dem Alter gefragt wurde, konnte man nun sagen: »Ich gehe in die neunte Klasse.« Das klingt doch schon ganz anders, als wenn man sagt: »Ich bin vierzehn.« Ein feiner Unterschied, nicht wahr?
    Doch dann ging alles schief. Als hätten meine Freunde sich untereinander abgesprochen, fuhren sie alle gleichzeitig in irgendwelche Sommerlager oder mit den Eltern in schicke Badeorte. Einer war sogar in einem internationalen Computercamp und hatte mir ein Foto geschickt, auf dem er Arm in Arm mit zwei Amerikanern posierte.
Die Amis sahen ziemlich zerknittert aus, wahrscheinlich rissen sich alle darum, mit ihnen fotografiert zu werden. Ich war ein bisschen neidisch. Noch schlimmer wurde die Lage durch die Tatsache, dass ich auch in unserem Viertel weit und breit als Einziger zu Hause geblieben war.
    Ich sprang von der Bordsteinkante und stand an der Ecke einer kleinen Querstraße. Es gibt ja nichts Langweiligeres, als alleine durch Straßen zu laufen, die man von Kind auf kennt. Zumal unsere Stadt, wie die meisten Städte in der Umgebung, klein ist. Sie hat zwar einen Sonderstatus, weil es bei uns Fabriken gibt, in denen Satelliten und jede Menge Geheimtechnik gebaut werden. Aber das ist höchstens für ausländische Spione interessant.
    Es blieb mir also nichts anderes übrig, als in der Stadt herumzuhängen und, so gut es ging, die Autorität unseres Viertels zu wahren, was hauptsächlich bedeutete, Prügeleien mit Jungs anderer Cliquen anzuzetteln.
    Zwei Typen gingen an mir vorbei, vielleicht ein oder eineinhalb Jahre jünger als ich. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass einer von ihnen demonstrativ auf die Straße spuckte und mir verstohlen hinterhersah. Die beiden waren noch zu klein, um sich ernsthaft mit mir anzulegen, auch wenn ich der Fremde in ihrem Stadtviertel war. Immerhin fühlten sie sich mutig genug, in meiner Gegenwart verächtlich auszuspucken.
    Ich blieb stehen und drehte mich zu den beiden um. »Wollt ihr eins auf die Schnauze?«, fragte ich mit gespielter Freundlichkeit.
    Die beiden Jungen schwiegen betreten, denn sie wussten genau, dass ein falsches Wort ihnen eine handfeste
Schlägerei eingetragen hätte. Daran waren sie offenbar nicht interessiert. Vermutlich hatte sie mein aggressives Auftreten eingeschüchtert, oder sie schätzten mich einfach als zu stark ein.
    Mir selbst war auch nicht nach einer Rauferei zumute. Ich grinste überlegen und ging weiter. Die Jungs zischten mir irgendetwas hinterher, um sich einen Rest an Ehre zu bewahren, aber so leise, dass ich darauf verzichtete, mich abermals umzudrehen und die Unterhaltung fortzusetzen.
    Ich wollte zum Park. Dort würde ich vielleicht Bekannte treffen, die sich schon am Morgen zum See aufgemacht hatten. Schlimmstenfalls würde ich eben alleine baden müssen.
    In unserer Stadt gibt es einen wunderschönen Park mit riesigen, teilweise über hundert Jahre alten Bäumen. Als man die Stadt baute, blieb der Wald an dieser Stelle unberührt, man entfernte nur Buschwerk und alte, abgestorbene Bäume.
    An dem kleinen See inmitten des Parks hatte man einen makellosen Sandstrand aufgeschüttet. Ich stellte mir vor, wie ich mich in Windeseile ausziehen, meine Klamotten auf eine Bank werfen und ins Wasser laufen würde. Meine Laune besserte sich augenblicklich. Was gibt es Schöneres in den Ferien als Sonne, Hitze und ein kühlendes Bad? Na, höchstens ein richtig spannendes Abenteuer.
    Da hörte ich auf einmal eine laute Stimme hinter mir. »Hey, du!«
    Ich drehte mich um und sah einen groß gewachsenen Mann, den ich nicht kannte, auf mich zulaufen. Um seinen Hals hing eine lederne Fototasche, und sein Gesicht
glühte
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