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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin
Autoren: Anne Perry
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Aussage ist allein schon wegen der Umstände anfechtbar! Die Zeugin hat nur das Interesse, sich noch zu retten. Nichts von dem, was sie angeblich gesehen…«
    »Sie können nichts anfechten, bevor Sie es gehört haben!« rief Rathbone erregt. »Es muß ihr gestattet sein, sich zu verteidigen.«
    »Nicht, wenn…«
    Der Richter hielt beide Hände in die Höhe. »Ruhe!« donnerte er.
    Die zwei Anwälte verstummten.
    »Sir Oliver«, fuhr der Richter in normalem Ton fort , »hoffentlich wollen Sie die ohnehin schon prekäre Lage Ihrer Mandantin nicht noch durch zusätzliche Verleumdungen weiter verschlechtern.«
    »Euer Ehren, das habe ich gewiß nicht vor«, entgegnete Rathbone heftig. »Gräfin Rostova wird nichts sagen, was nicht durch andere Zeugen bestätigt werden kann.«
    »Dann kann es nicht so wichtig sein, wie Sie behaupten« rief Harvester triumphierend. »Wenn andere Zeugen dasselbe sagen können, warum haben sie es dann nicht schon getan?«
    »Bitte setzen Sie sich, Mr. Harvester«, forderte ihn der Richter streng auf. »Gräfin Rostova wird ihre Aussage beenden. Sobald Sir Oliver mit ihr fertig ist, erhalten Sie die Gelegenheit, Ihrerseits Fragen zu stellen. Sollte sie sich rufschädigend über Ihre Mandantin äußern, steht Ihnen das Mittel offen, das Sie soeben benutzen wollten. Fahren Sie fort, Sir Oliver. Aber verschwenden Sie unsere Zeit nicht, und zwingen Sie uns bitte nicht, moralische Urteile über Dinge zu fällen, die nichts mit Prinz Friedrichs Tod zu tun haben. Wir wollen wissen, ob Ihre Mandantin die ungeheuerliche Anschuldigung, die sie erhoben hat, begründen kann oder nicht. Ausschließlich dazu sind Sie befugt. Haben Sie mich verstanden?«
    »Sehr wohl, Euer Ehren. Gräfin Rostova, würden Sie bitte die Suite beschreiben, die Prinz Friedrich und Prinzessin Gisela während ihres Aufenthalts in Wellborough Hall bewohnten?«
    Überall war enttäuschtes Geflüster zu hören. Die Zuschauer hatten mit etwas weitaus Spannenderem gerechnet.
    Sogar Zorah wirkte perplex, doch sie gehorchte.
    »Sie hatten ein Schlafzimmer, ein Umkleidezimmer und einen Salon. Und natürlich hatten sie ein privates Bad und ein Wasserklosett, das ich allerdings nie sah. Auch das Umkleidezimmer wurde mir nie gezeigt.« Sie sah Rathbone fragend an, als verstünde sie den Sinn des Ganzen nicht.
    Er nickte ihr zu. »Würden Sie bitte das Schlafzimmer und den Salon beschreiben?«
    Harvester wurde schon wieder unruhig, und auch der Richter verlor langsam die Geduld. Die Geschworenen wiederum schienen zu rätseln, wie es möglich war, daß der Prozeß von dramatischer Spannung zu totaler Banalität absinken konnte.
    Zorah blinzelte. »Der Salon war recht groß. Er hatte zwei Erkerfenster, die nach Osten gingen, ich glaube mit Blick auf ein Stück Garten.«
    »Euer Ehren!« Harvester sprang erneut auf. »Das kann doch unmöglich von Belang sein! Will mein gelehrter Freund etwa unterstellen, Prinzessin Gisela sei irgendwie aus dem Fenster zur Eibenallee hinuntergeklettert? Das wird nun wirklich absurd. Hier wird eindeutig Schindluder mit der Zeit und der Kompetenz des Gerichts getrieben!«
    »Gerade weil ich die Kompetenz des Gerichts achte, verzichte ich darauf, meine Zeugin zu führen, Euer Ehren«, setzte sich Rathbone verzweifelt zur Wehr. »Sie weiß nicht, welche Beobachtung die kritische ist, die das ganze Verbrechen erklären wird. Und was die Zeit betrifft, so würden wir weit weniger verschwenden, wenn Mr. Harvester mich nicht permanent unterbräche!«
    »Ich gestehe Ihnen noch fünfzehn Minuten zu, Sir Oliver«, warnte ihn der Richter. »Wenn Sie bis dahin nichts für diesen Fall Relevantes zutage fördern, werde ich Mr. Harvesters Einspruch stattgeben.« Er wandte sich an Zorah. »Bitte fassen Sie sich so kurz wie möglich, Gräfin Rostova. Fahren Sie fort.«
    »Der Teppich war französisch, zumindest dem Muster nach. Wie auch die Vorhänge wies er mehrere Rot und Rosaschattierungen auf. Es gab eine Reihe von Sesseln; allerdings weiß ich nicht mehr, wie viele genau. Sie waren in den passenden Farben gepolstert. In der Mitte des Zimmers stand ein kleiner Walnußholztisch. An der Wand gegenüber dem Fenster stand ein Sekretär. Ansonsten fällt mir nichts mehr ein.«
    »Blumen?« fragte Rathbone.
    Harvester stieß ein deutlich vernehmbares angewidertes Ächzen aus.
    »Ach ja.« Zorah legte die Stirn in Falten. »Maiglöckchen. Das waren Giselas Lieblingsblumen. In der Blütezeit hatte sie immer welche im Zimmer. In
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