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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin
Autoren: Anne Perry
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Venedig hatte sie sie eigens für sich in einem Gewächshaus anbauen lassen, damit sie sie schon am Ende des Winters haben konnte.«
    »Maiglöckchen?« wiederholte Rathbone. »Ein Strauß Maiglöckchen? In einer Vase mit Wasser?«
    »Natürlich! Ohne Wasser wären sie schnell eingegangen. Sie waren nicht in einen Topf gepflanzt worden, wenn Sie das meinen. Sie hatte sie sich vom Gärtner schneiden und bringen lassen.«
    »Danke, Gräfin Rostova. Ihre Beschreibung genügt mir.«
    Der ganze Saal schnappte verdattert nach Luft. Erst hatten die Wogen so hoch geschlagen, und auf einmal passierte überhaupt nichts mehr. Die Leute sahen einander ungläubig an.
    Die Blicke der Geschworenen wanderten von Zorah zum Richter und schließlich zu Harvester.
    »Und das soll relevant sein?« rief dieser mit jäh anschwellender Stimme.
    Rathbone wandte sich lächelnd wieder an Zorah. »Gräfin, es wurde angedeutet, Sie seien auf die Prinzessin eifersüchtig, weil sie Sie damals in Friedrichs Gunst verdrängte und Sie darum diese bizarre Form der Rache ausgesonnen hätten. Sind Sie eifersüchtig auf Gisela, weil er sie heiratete und nicht Sie?«
    In rascher Abfolgte huschten die verschiedensten Emotionen über Zorahs Gesicht: ungläubiges Staunen, Verachtung, ein Anflug von bitterer Belustigung und – so plötzlich wie überraschend – Mitleid. »Nein«, sagte sie sanft. »Es gibt nichts im Himmel oder auf Erden, das mich dazu bringen könnte, mit ihr zu tauschen. Sie wurde von ihm erdrückt und war für immer in der Legende gefangen, die sie selbst geschaffen hatte. Vor der Welt waren sie große Liebende, Magier, die das erreicht haben, wovon so viele von uns nur träumen. Dem verdankte Gisela ihren Ruhm, ihren Status. Es definierte ihre Identität. Allein wäre sie niemand, wäre sie nichts gewesen. Egal, wie sehr er von ihr abhing, sich an sie klammerte oder aus ihr das Leben saugte, sie konnte ihn nie verlassen, durfte nie vor anderen böse auf ihn werden. Sie hatte sich einen Mythos geschaffen und war nun für immer darin gefangen; sie wurde leergesaugt, doch sie mußte permanent lächeln, ständig eine Rolle spielen. Damals auf dem Treppenabsatz verstand ich ihren Gesichtsausdruck nicht. Ich wußte, daß sie ihn haßte, aber ich verstand nicht, warum. Bis es mir gestern abend schlagartig klar wurde. Ich unterhielt gerade mich mit jemandem, als ich sie plötzlich als Gefangene in dieser Rolle sah, die sie sich selbst so großartig auf den Leib geschneidert hatte. Da begriff ich jäh, warum sie auf die einzige ihr mögliche Weise ausbrach. Sie war eine kalte, ehrgeizige Frau und bereit, die Liebe eines Mannes für ihre Ziele zu benutzen, aber dieses lebenslange Dahinvegetieren in einem goldenen Kerker würde ich keinem Menschen wünschen. Zumindest… glaube ich das. Schließlich machte dieser Unfall Friedrich zum Krüppel. Er hätte sich nie mehr frei bewegen, nie mehr ihr Begleiter sein können. Damit war das letzte Fenster in ihrer Zelle zugefallen, und sie war unwiderruflich zu totaler Gefangenschaft zusammen mit ihm verdammt.«
    Stille im Saal. Niemand rührte sich.
    »Danke, Gräfin«, sagte Rathbone. »Ich habe keine weiteren Fragen an Sie.«
    Mit einem Schlag war der Bann gebrochen. Erst gab es nur dumpfes Gemurmel, dann brach ein Sturm der Empörung los. Die Leute waren verunsichert und bestürzt. Zu viele Träume waren zerstört worden, und das tat weh.
    Harvester sagte etwas zu Gisela, die aber keine Antwort gab. Schließlich erhob er sich. »Gräfin Rostova, hat abgesehen von Ihnen sonst noch jemand dieses Entsetzen, diese grenzenlose Verzweiflung bei einer der beliebtesten und glücklichsten Frauen der Erde bemerkt? Oder sind Sie mit Ihrer erstaunlichen Beobachtung mutterseelenallein?«
    Zorah sah ihm direkt in die Augen. »Ich habe keine Ahnung«, sagte sie ruhig.
    »Aber niemand hat Ihnen je auch nur den verstecktesten Hinweis darauf gegeben, daß er ähnlich wie Sie dieses in guten wie in schlechten Zeiten zwölf Jahre lang bei Tag und Nacht währende Glück durchschaut und Anzeichen für die ihm angeblich innewohnende Katastrophe gesehen habe?« fragte Harvester in vor Sarkasmus triefendem Ton.
    »Nein«, gab Zorah zu.
    »Demnach haben wir nur Ihr Wort, Ihren messerscharfen Verstand, der Ihnen, und zwar Ihnen allein, die Sie im Augenblick als Zeugin, ansonsten aber moralisch als Angeklagte vor uns stehen und verzweifelt sind, die Erkenntnis dieses unglaublichen Umstands gestattet hat?«
    Zorah hielt seinem
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