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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin
Autoren: Anne Perry
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sie nicht reagierte, verzichtete er auf einen Einspruch.
    »Ich verstehe«, sagte Rathbone. »Und der Rest des Tages, Gräfin Rostova?«
    »Das Wetter wurde besser. Wir aßen Mittag, und danach ritten ein paar von den Männern aus. Gisela schlug Friedrich vor, er solle mitreiten, aber er blieb lieber bei ihr. Ich glaube, sie spazierten durch die Gärten und spielten später Krocket.«
    »Nur er und sie?«
    »Ja. Gisela bat zwar Florent, sie zu begleiten, aber er hatte das Gefühl, er würde sie stören.«
    »Prinz Friedrich scheint seiner Frau ja sehr ergeben gewesen zu sein. Wie konnte da Graf Lansdorff oder sonst jemand im Ernst glauben, er würde sich von ihr trennen und den Rest seines Lebens ohne sie verbringen?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete sie mit einem dezenten Kopf schütteln. »Er lebt ja nicht in Venedig. Er hatte sie seit Jahren nicht mehr aus der Nähe gesehen. Niemand hätte eine solche Ehe für möglich gehalten, es sei denn, er wäre Augenzeuge gewesen. Friedrich schien kaum in der Lage, etwas ohne Gisela zu tun. Wenn sie das Zimmer verließ, spürte man, daß er auf sie wartete. Er fragte sie in allem um ihre Meinung, wartete auf ihr Lob und hing von ihrer Zustimmung ab.«
    Rathbone zögerte. Kam die Frage zu früh? Hatte er sie schon genügend vorbereitet? Vielleicht nicht. Er mußte aber ganz sicher sein. Er spähte zu den Geschworenen hinüber. Sie wirkten verwirrt. Das hieß, er mußte noch warten.
    »Sie spielten also den ganzen Nachmittag lang zusammen Krocket?«
    »Ja.«
    »Und die übrigen Gäste?«
    »Ich verbrachte den Nachmittag mit Stephan von Emden. Was die anderen trieben, weiß ich nicht genau.«
    »Aber bei Friedrich und Gisela sind Sie sich sicher?«
    »Ja. Dort, wo ich war, konnte ich den Krocketrasen sehen.« Harvester stand auf. »Euer Ehren, die Zeugin bestätigt doch nur, was die ganze Welt weiß, nämlich daß Prinz Friedrich und Prinzessin Gisela einander ergeben waren. Wir alle haben ihre Romanze, ihre Liebe und das Opfer, das sie sie gekostet hat, verfolgt. Wir haben uns mit ihnen gefreut und mit ihnen geweint. Und nach zwölf Jahren einer einzigartigen Ehe wissen wir, daß ihre Liebe nie nachließ. Wenn das überhaupt möglich ist, war sie sogar noch tiefer, noch umfassender geworden. Gräfin Rostova selbst räumt ein, daß Prinz Friedrich nie ohne seine Frau heimgekehrt wäre.« Er deutete mit ausladender Geste auf die im Zeugenstand wartende Zorah. »Sie hat gesagt, daß sie nicht verstehen kann, wie Graf Lansdorff sich so täuschen und weiter auf den Erfolg seiner Mission hoffen konnte. Sie hat bestätigt, daß er keine anderen Pläne hatte, Friedrich doch noch zum Einlenken zu bewegen. Prinzessin Gisela war physisch nicht in der Lage, ihren Mann zu vergiften. Abgesehen davon hatte sie keinerlei Motiv dafür! Die Verteidigung verschwendet unser aller Zeit, wenn sie mir meine Argumente beweist. Ich weiß das zu schätzen, aber es ist nicht nötig. Ich habe den Beweis ja schon selbst geführt!«
    »Sir Oliver?« fragte der Richter. »Ihre Abschweifung ist doch gewiß nicht so sinnlos, wie sie aussieht?«
    »Nein, Euer Ehren. Könnte das Gericht sich noch ein bißchen gedulden?«
    »Ein bißchen, Sir Oliver. Ein kleines bißchen.«
    »Danke, Euer Ehren.« Rathbone deutete eine Verneigung an und wandte sich wieder Zorah zu. »Gräfin Rostova, kommen Sie bitte zum Abend.« Er hatte gehofft, diese Frage würde sich erübrigen, doch jetzt hatte er keine anderen Waffen mehr. »Was geschah am Abend?«
    »Es gab eine Dinnerparty. Danach vergnügten wir uns mit Spielen. Es waren mehrere Gäste gekommen, darunter auch der Prince of Wales und das Ehepaar, bei dem er nur wenige Meilen von Wellborough Hall zu Gast war. Das Essen war vorzüglich; es gab neun oder zehn Gänge und dazu eine hervorragende Auswahl an Weinen. Alle Frauen trugen ihre besten Kleider und Juwelen. Wie immer stellte Gisela uns alle in den Schatten, eingeschlossen Brigitte von Arlsbach. Andererseits war Brigitte noch nie auf Prunk bedacht, obwohl sie die reichste Person in unserem Kreis war.«
    Während sie die Ereignisse in sich wachrief, war ihr Blick starr auf die holzvertäfelte Decke über der letzten Zuschauerbank in der Galerie gerichtet. Im Saal herrschte längst wieder Stille. Die Leute reckten die Hälse, um sich kein Wort entgehen zu lassen.
    »Gisela sprühte an diesem Abend vor Witz«, fuhr Zorah mit gepreßter Stimme fort. »Sie brachte uns in einem fort zum Lachen, insbesondere den Prince
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