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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin
Autoren: Anne Perry
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of Wales. Er fand sie ungemein attraktiv und zeigte ihr das auch deutlich. Ganz offenbar genoß sie seine Aufmerksamkeit und wurde mit ihren Bemerkungen immer wagemutiger – aber nie vulgär; ich habe sie nie vulgär erlebt. Aber sie konnte ausgesprochen unverblümt bei den Schwächen der anderen sein. Sie spürte genau, wo die Leute verletzbar waren.«
    »Das klingt ja ein bißchen grausam«, warf Rathbone dazwischen.
    »Es ist extrem grausam«, verbesserte sie ihn. »Aber wenn man so etwas mit genügend Witz vorbringt, kann es sehr lustig sein – nur eben nicht für das Opfer.«
    »Und wer war an diesem Abend das Opfer?«
    »Meistens Brigitte. Das war wahrscheinlich der Grund, warum Stephan und Florent nie lachten. Aber die anderen wieherten! Ich nehme an, sie begriffen die Hintergründe nicht. Und der Wein floß in Strömen. Warum sollten sie sich auch um die Gefühle einer Baronin aus irgendeinem obskuren deutschen Fürstentum scheren, wenn eine der schillerndsten Gestalten Europas an der Tafel Hof hielt?«
    Rathbone äußerte seine Meinung dazu nicht. Er hatte einen Knoten im Magen. Jetzt kam gleich der schlimmste Moment, doch mit einem Verzicht darauf wäre seine Niederlage besiegelt.
    »Und nach dem Dinner, Gräfin Rostova?« Seine Stimme klang fast fest. Nur die in der Galerie sitzenden Hester und Monk spürten, wie ihm zumute war.
    »Nach dem Dinner spielten wir«, antwortete Zorah mit einem leisen Lächeln.
    »Was spielten Sie? Karten? Spiele? Billard? Farcen?« Der Richter sah Zorah stirnrunzelnd an.
    Zorahs verzog die Lippen. »Nein, Sir Oliver, es ging etwas physischer zu. Ich kann mich nicht an jedes Spiel erinnern, aber auf alle Fälle spielten wir Blinde Kuh. Wir banden dem Prince of Wales die Augen zu, und er fing mehrere Frauen. Wir purzelten recht oft gemeinsam auf einem der Sofas oder auf dem Boden herum.«
    Harvester sprang auf.
    »Ja, ja«, stimmte der Richter zu. »Ihre Absicht, Sir Oliver? Junge Leute treiben nun mal Spiele, die einigen von uns derb und fragwürdig erscheinen mögen.« Er versuchte, die Situation zu retten, vielleicht sogar Rathbone vor einem Fehler zu bewahren, und der Kronanwalt wußte das auch.
    Einen Moment lang zögerte Rathbone. Noch war ein Entkommen möglich – und damit die Niederlage unausweichlich, nicht nur für Zorah, sondern für die Wahrheit.
    »Ich verfolge damit eine Absicht, Euer Ehren«, versicherte er dem Richter hastig. »Der Rest des Abends bitte, Gräfin Rostova.«
    »Wir spielten auch Schnapp dir den Fingerhut«, erzählte sie gehorsam. »Er war immer an extrem peinlichen Stellen versteckt …«
    »Hatte irgend jemand Einwände?«
    »Ich glaube, nein. Brigitte spielte nicht mit, und Rolf wohl auch nicht. Brigitte fiel ohnedies auf, weil sie den ganzen Abend nüchtern blieb. Gegen Mitternacht spielten wir dann Pferderennen.«
    »Pferderennen?« fragte der Richter verdattert.
    »Die Männer krabbelten auf Händen und Füßen herum, und die Frauen saßen rittlings auf ihnen.«
    »Und so veranstaltete man Rennen?«
    »Nun, um Schnelligkeit ging es nicht so sehr. Es wurde viel gelacht, um diese Zeit auch schon etwas hysterisch. Wir stürzten ziemlich oft.«
    »Ich verstehe.« Die angewiderte Miene des Richters ließ erkennen, daß er tatsächlich verstanden hatte.
    »Prinzessin Gisela nahm an dieser Belustigung teil?« drängte Rathbone. »Und Prinz Friedrich? Der auch?«
    »Natürlich.«
    »Gisela war also bester Laune? War sie restlos glücklich?« Zorah legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Das glaube ich eigentlich nicht.«
    »Aber Sie haben doch gesagt, daß sie an… der Vergnügung teilnahm«, protestierte Rathbone.
    »Sie war…, sie ritt auf dem Prince of Wales und… stürzte.« Ein Auflachen im Saal, das sofort erstickt wurde.
    »Betrübte oder ärgerte Prinz Friedrich die Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde?« fragte Rathbone, dessen Lippen wie ausgetrocknet waren.
    »Nein«, erwiderte Zorah. »Er genoß es, sie im Mittelpunkt der Heiterkeit und Bewunderung zu sehen. Eifersüchtig war er deswegen nie, und falls Sie nun glauben, er befürchtete, daß sie allzu willig den Avancen der anderen nachgeben würde, haben Sie sich getäuscht. Das tat sie nie. Kein einziges Mal habe ich gesehen, daß sie sich Männern gegenüber unschicklich verhalten hätte. Auch habe ich von niemandem Gegenteiliges gehört. Sie waren permanent zusammen und sprachen immer miteinander. Oft saß er ganz nahe bei ihr und berührte bei jeder Gelegenheit ihre
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