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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren
Autoren: Veit Heinichen
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schön schmücken, wenn schon einmal seit Jahren fast die ganze Familie zusammen ist.«
    »Von welchem Garten redet ihr? In unserem stehen Akazien, Pinien, Oliven und weiß der Teufel wieviel anderes Zeug, da ist kein Platz für einen Mammutbaum. Wo habt ihr den überhaupt her?«
    Pina saß auf dem Beifahrersitz und versuchte krampfhaft,ernst zu bleiben. Das erste Mal an diesem Tag, daß sie sich vor Lachen hätte ausschütten wollen.
    »Wo ihr den Baum herhabt!«
    »Ein Freund hat ihn uns geschenkt.«
    »Der Stamm sieht nicht gerade danach aus, als wäre er fachmännisch gefällt worden.«
    »Das geht schon in Ordnung. Es hat uns niemand gesehen.«
    »Erinnert ihr euch eigentlich auch manchmal daran, welchen Beruf euer Vater hat?« Laurenti kam aus dem Staunen nicht heraus. »Pina, was haben Sie eigentlich den beiden Beamten erzählt, daß sie diese beiden Tannenbaumdiebinnen laufen ließen?«
    Pina hielt sich die Faust vor den Mund und täuschte einen Hustenanfall vor, bis sie sich wieder gefangen hatte. »Genau das, Commissario. Daß wir hinter den beiden bereits seit längerem her sind und dank dieses mutigen Einsatzes endlich Schluß mit der Weihnachtsbaumkriminalität ist. Ich habe die Kollegen gelobt und ihnen gedankt.« Mit diesem Satz brachen endgültig die Schleusen, und Pina prustete plötzlich vor Lachen los. Und auch Livia und Patrizia konnten sich nicht mehr einkriegen. Nur Proteo Laurenti saß schweigend und mit unbewegter Miene am Steuer und fragte sich, ob es in dieser Stadt eigentlich auch normale Menschen gab.
    »Raus«, schnauzte er plötzlich los. »Alle raus. Sofort!«
    Stille kehrte ein.
    »Raus, hab ich gesagt.« Er zog den Zündschlüssel ab. »Mitkommen«, befahl er barsch und ging in Richtung der kleinen Bar über dem Meer.
    Die drei jungen Frauen folgten ihm, unschlüssig, was er im Schilde führte.
    »Pina, lassen Sie bitte meine mißratenen Töchter frei. Ich spendiere einen Aperitif, nüchtern hält das niemand aus. Und dann überlegen wir, was wir mit dem Baum machen. Sokönnt ihr nicht nach Hause fahren. Eure Mutter wird entsetzt sein über die Kratzer im Lack, und ich kann Christbäume nicht ertragen.«
     
    *
     
    »Bora mit Spitzen von 183 Stundenkilometern«, lautete der seitenbreite Titel des Lokalblatts. Der Artikel und die Fotos im Piccolo zählten wie üblich die Schäden auf, doch gab es keine sensationellen Meldungen. Es war die Stadt der Winde, und ohne die Bora, die aus Nordnordost vom kalten Karst aufs Meer herunterstürzte, wäre Triest nur halb so schön. Immer, wenn sich der Sturmwind ankündigte, tickten schon zwei Tage zuvor die meisten Einwohner anders. Proteo Laurenti konnte unzählige Geschichten von wetterfühligen Menschen erzählen. Gute Autofahrer waren die Triestiner noch nie, doch zu dieser Zeit waren selbst zwei Fahrspuren für einen Cinquecento zu eng. Oder die unflätige Nervosität der Kunden, über welche die Ladeninhaber ihre Witze rissen, um nicht zu verzweifeln. Dann die Geschichte von dem Rentner, der, mit Jackett und Krawatte bekleidet, die prunkvolle neoklassizistische Schalterhalle der Bankfiliale am Corso Italia betrat – leider hatte er vergessen, seine Hosen anzuziehen. Dafür beförderte er unter den nur wenig entsetzten Augen der weiblichen Bankangestellten mit einem beherzten Griff in seine Boxershorts eine lange Wurst aufgerollter Banknoten hervor. Achtzigtausend Euro, die Damen hatten mehr erwartet.
    Die einzige Meldung, die Laurenti ganz las, galt einer fünf Meter hohen Tanne, die aus dem Vorgarten der Villa eines Neureichen in der Via Romagna gestohlen worden war. Der Besitzer entdeckte es erst am Abend, als er mit Weihnachtsgeschenken bepackt nach Hause kam. Eine Tanne in Küstennähe? Eine Geschmacksverirrung! Windschiefe Pinien standen überall, aber den Schwarzwald am Mittelmeer brauchtees nun wirklich nicht. Gut, daß sich jemand dieses Dings angenommen hatte. Daß der geschändete Baum sich allerdings im offenen Meer vor dem Schloß Miramare in der Schraube eines Bootes der Küstenwache verfangen hatte, war ein anderes Kapitel. Ein größeres Schiff mußte ausrücken und den Kahn der Seebären gegen Sturmböen, durch peitschende Wellen und wilde Gischtwirbel in den Hafen zurückschleppen. Wenn man den Journalisten glauben durfte, dann hatte nicht viel gefehlt und das havarierte Boot wäre an den Felsen zerschellt – ganz gegen die Logik der Bora, die seewärts blies. Zum guten Schluß aber wurde festgestellt, daß die
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