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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren
Autoren: Veit Heinichen
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Christbaumdiebe den Baum also den Wellen der Adria übergeben hatten. Ein starkes Stück!
    Proteo Laurenti riß vergnügt die Seite heraus und faltete sie zusammen. Er liebte seine Tageszeitung – vor allem die »Cronaca nera«, den Polizeibericht. Die Meldung über das Geständnis des Domenico Calamizzi, über die illegalen Hundekämpfe am Abgrund von Trebiciano, die Flucht Sedems vom Flughafen Ljubljana aus und von Laurentis Erfolg käme allerdings frühestens nach den Feiertagen – wenn in der Zwischenzeit nichts passierte, das größeren Neuigkeitswert hatte. Er suchte einen flachen Stein und ließ ihn über die Wellen hüpfen.
    Beim ersten Sonnenlicht war er bereits auf den Beinen gewesen, bevor die vielen Damen im Haus die beiden Badezimmer blockierten. Mit dem Auto war er nach Santa Croce hinaufgefahren, um die Zeitungen zu kaufen, hatte in der »Bar Blu« einen Espresso getrunken und war anschließend durch den Garten bis zum Meer hinuntergegangen, um sich auf einen Felsbrocken am Ufer zu setzen und über die Ereignisse der letzten Tage nachzudenken. Laurenti wollte kein Detail vergessen. Es war der komplexeste Fall seiner Laufbahn, der ihn seit einer Woche in Atem hielt. Auch wenn der alte Galvano immer wieder hetzte, daß heute nur noch Fahrraddiebein den Knast kamen oder alte Leute, die im Supermarkt einen Brühwürfel klauten, war es dank der Zusammenarbeit mit den Kollegen jenseits der Grenze gelungen, diese eigentümliche Verbrechenskette zu knacken. Bisher waren es stets Wirtschaft und Organisiertes Verbrechen gewesen, die sich keinen Deut um die Grenzen scherten. Rožman, Pausin und Laurenti aber waren die ersten Bullen, die im neuen Europa eine reibungslose Kooperation bewiesen hatten, ohne viel Zeit für die Formalitäten zu verschwenden, die in den Hauptstädten gestrickt wurden.
    Und wenn sich die kleine Inspektorin nicht in den falschen Kerl verguckt hätte, stünden sie vielleicht noch immer auf dem Schlauch. Nur war Laurenti, ganz im Gegensatz zu Pina Cardareto, nicht davon überzeugt, daß Sedem wirklich den Mordauftrag gegeben hatte. Der junge Mann war seinem Vater viel zu ähnlich, brutal und skrupellos, aber er setzte feinere Mittel ein, um ans Ziel zu kommen. Pina hingegen schloß sich Laurentis Theorie an, wonach der gefährlichste Ort auf der Erde die Familie sei. Und ein Blick in die Verbrechensstatistik gab ihnen recht.
     
    *
     
    Grell brach sich die gleißende Wintersonne auf dem aufgewühlten Meer. Der Wind fuhr durch Laurentis Haar, und feine Gischt spritzte ihm ins Gesicht, als er einen weiteren flachen Stein über die Wasseroberfläche hüpfen ließ. Ein Anruf holte ihn aus seinen Gedanken, auf dem Display erkannte er die Nummer, gutgelaunt nahm er ab.
    »Ich hoffe, du konntest mit meinen Informationen etwas anfangen«, sagte Živa. Die kroatische Staatsanwältin räumte noch den Schreibtisch in ihrem Büro auf. Kisten voller Akten und Unterlagen stapelten sich an der Wand, der Papierkorb war am Überquellen.
    »Und ob, meine Liebe. Du bist einfach wunderbar«, sagte Proteo Laurenti und ließ seinen Blick übers Meer zum Horizont schweifen.
    Hundert Kilometer weiter, hinter der Erdkrümmung, saß in Pula, der südlichsten Stadt der istrischen Halbinsel, seine ehemalige Geliebte, die zum Jahreswechsel Chefin der Ermittlungsbehörde für das Organisierte Verbrechen werden würde. Wenn sie erst in Zagreb lebte, dann würden sich ihre Wege wohl endgültig trennen. Jetzt aber faßte er für Živa in Kürze die Geschehnisse zusammen.
    »Ich glaube«, antwortete sie, »ich bin dir einen Gefallen schuldig. Einige dieser Männer haben bei uns für ziemlich viel Unsicherheit gesorgt – damit ist jetzt wenigstens Schluß. Und dann bin ich gespannt, an wen die Österreicher Mervec zuerst ausliefern, an die Slowenen oder an uns. Er wird auf jeden Fall ein sehr alter Mann sein, wenn er aus dem Knast kommt.«
    »Ich werde wohl auch lange warten müssen, bis ich dich wiedertreffe«, sagte Laurenti. »Da du mir einen Gefallen schuldest, schlage ich vor, daß wir uns zwischen den Jahren treffen. Irgendwo in Istrien.«
    »Ach, Proteo, du bist wirklich unverbesserlich. Heute ist mein letzter Tag in diesem Büro, und am 27. kommt bereits der Umzugswagen.«
    Laurenti fühlte eine warme Hand auf seiner Schulter und drehte sich um. Seine Tochter Patrizia setzte sich neben ihn auf den Felsbrocken und hielt den Teddybär in der Hand, den er ihr eigentlich heute abend schenken wollte.
    »Tanti auguri,
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