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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
Autoren: Inez Corbi
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Viele der noch jungen Frauen hatten schon vier oder fünf Kinder, und sogar acht waren keine Seltenheit.
    Ob sie selbst auch einmal Mutter werden würde? Lina konnte sich das kaum vorstellen. Wie die Kinder herauskamen, hatte sie ja nun mitbekommen. Aber wie kamen sie überhaupt hinein in den Leib der Frau? Es hing wohl mit dem zusammen, was Mann und Frau miteinander taten. Reichte es, wenn man sich küsste? Was Lina in manchen Nächten aus den Kojen der Eheleute vernahm, hörte sich nicht nur nach Küssen an. Eher nach schwerer Arbeit.
    Linas Arme juckten. Sie fuhr mit dem Nagel über die Haut an ihrem linken Unterarm. Zum Glück kam das Jucken nicht von den Läusen, unter denen viele der Auswanderer litten. Es rührte vom Seewasser her, mit dem sie sich hier unten im Zwischendeck waschen mussten und das die Haut schuppig und trocken machte.
    Leise stand sie auf und kletterte die schmale Leiter ihres Stockbettes hinunter. Im schwankenden Schein der von der Decke hängenden Laterne schob sie sich vorbei an dem überall herumliegenden Gepäck und den Reihen von Stockbetten, bis sie den kleinen Verschlag erreicht hatte, in dem der Eimer für die Notdurft stand. Hier stank es erbärmlich. Lina raffte ihren bodenlangen Rock und erleichterte sich, während sie aufpasste, dass ihr der Rocksaum nicht in die Brühe hing. Wie alle anderen Passagiere auch schliefen sie in ihren Kleidern, die längst einen muffigen, verschwitzten Geruch angenommen hatten. Aber da jeder so roch, fiel es niemandem weiter auf.
    Der Eimer war voll. Angewidert nahm sie ihn am Henkel und trug ihn mit abgespreiztem Arm vor sich her. Durch die geöffnete Luke konnte sie ein Stück Sternenhimmel sehen, frische Nachtluft wehte herein. Mit der freien Hand raffte sie ihren Rock und setzte einen Fuß auf die kleine Steigleiter. Ohne die Möglichkeit, sich abzustützen, war es schwierig, und so stieg sie ausgesprochen vorsichtig hinauf. Nicht, dass noch etwas überschwappte oder sie gar samt Eimer von der Leiter fiel.
    Die angenehm kühle Luft roch herrlich nach Salz und Seetang. Nur der Gestank aus dem Kübel störte. Lina stellte den Fäkalieneimer ab und blieb für einen Moment an Deck stehen. Am Bug konnte sie den dunklen Schemen des Seemanns sehen, der Nachtwache hielt.
    Nahezu lautlos glitt das Schiff mit geblähten Segeln über die nächtliche See, wie ein Wanderer zwischen den Welten. Lina kam sich vor wie in einem Traum. Oder wie in einem von Hauffs orientalischen Märchen, aus denen ihnen der Vater früher immer vorgelesen hatte.
    Über ihr funkelten goldene Sterne am Himmel. Der Mond war von einem leichten Nebel umgeben; in seinem fahlen Schimmer schien die ganze See wie mit Silber überzogen. Vor ihnen, magisch beleuchtet vom Mond, erhob sich ein langer, zerklüfteter Bergrücken: die Insel Fogo, eine der Kapverdischen Inseln vor Afrika, wie sie heute von Mr Kelling erfahren hatte. Das erste Land seit Wochen.
    Lina nahm den Eimer wieder in die Hand. Sie trat an die hintere Reling, hielt jedoch inne, als sie den stinkenden Inhalt über Bord kippen wollte. Das Wasser schien zu leuchten! Die Bugwelle hinter dem Schiff funkelte wie von Abertausenden winzigen Sternen oder Lichtquellen in Blau und hellem Türkis, blinkte in leuchtenden kleinen Punkten. Lina vergaß fast zu atmen vor lauter Ehrfurcht. Eine ganze Weile stand sie an der Reling und sah dem schillernden Farbspiel im Wasser zu. Was war das? Konnte so etwas durch Algen hervorgerufen werden?
    »Na, Mädchen, so ganz allein hier draußen?«, durchbrach plötzlich eine raue Stimme die Stille der Nacht. Lina erwachte ruckartig aus ihrer träumerischen Stimmung. Es war der Seemann, der die Nachtwache innehatte und der jetzt leicht schwankend auf sie zukam. Im Sternenlicht konnte sie seinen goldenen Ohrring blitzen sehen, der ihm ein christliches Begräbnis sicherte, sollte er in fremden Gewässern ertrinken.
    Sie machte besser wieder, dass sie unter Deck kam.
    Hastig packte sie den Eimer und kippte den stinkenden Inhalt über Bord; sie bedauerte, dass sie das wunderbare Leuchten damit verunreinigen musste. Dann kletterte sie rasch wieder hinunter ins Zwischendeck.
    »He, bleib doch und tröste mich ein bisschen!« Das raue Lachen des Matrosen scholl ihr hinterher.

Kapitel 4
    Sturm schüttelte das Schiff. Die Luken waren geschlossen, die Tranlampen warfen gespenstische Schatten. Lina und Rieke lagen nebeneinander auf ihrer Koje und hielten sich angstvoll an den Händen. Lautes Beten erfüllte das
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