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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
Autoren: Inez Corbi
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Zwischendeck.
    »Müssen wir jetzt sterben?«, weinte Rieke.
    »Nein«, flüsterte Lina und presste den zitternden Körper ihrer kleinen Schwester an sich. »Natürlich nicht.«
    So sicher war sie sich da allerdings nicht. Wie die meisten Frauen hatten sie noch schnell all ihre Unterröcke angezogen, damit sie nicht nackt dalägen, sollte Gott sie gleich zu sich holen.
    Ein Aufschrei aus vielen Kehlen ertönte, als das Schiff sich auf die Seite neigte. Gepäckstücke machten sich selbstständig und rutschten über den Boden, Töpfe fielen scheppernd herunter und polterten durch die Gänge, ein Fass kippte um. Männer fluchten, Frauen beteten laut.
    Lina stieß einen Schrei aus, als sie eiskaltes Seewasser ins Gesicht bekam. Von der Decke tropfte es. Stand der Laderaum über ihnen etwa schon unter Wasser? Hektisch setzte sie sich auf und blickte hinüber zum Aufgang, wo die Laterne wild hin und her schwankte. Auch durch die geschlossene Luke drang ein dünner Wasserstrahl. Eine weitere Kiste rutschte polternd durch den Mittelgang, eine Bratpfanne verfehlte nur knapp Riekes Kopf. Dann erlosch das Licht und tauchte das Zwischendeck in Dunkelheit.
    Ohne etwas zu sehen, waren die Geräusche noch viel schlimmer. Es stank nach Schweiß und Erbrochenem. Etwas fuhr über Linas Gesicht; fast hätte sie aufgeschrien, doch dann erkannte sie, dass es sich nur um eines ihrer langen Hemden handelte, das sie neben dem Essgeschirr am Rand der Koje aufgehängt hatte.
    Riesige Brecher peitschten an die Schiffswand, Lina hörte, wie etwas Schweres an Deck zu Boden fiel, und klammerte sich an die zitternde Rieke. So viel Angst hatte sie noch nie gehabt. Nicht einmal bei Dr. Kahles. Sicher würde das Schiff gleich kentern und sie mit sich in die kalten Fluten ziehen. Sie fühlte sich unendlich hilflos, den Elementen ausgeliefert in dieser winzigen Nussschale von Schiff. Sie hätten diese Reise nie antreten dürfen! Sie hätten niemals auf dieses Schiff gehen dürfen! Jetzt lagen sie hier, hilflos und von Gott verlassen, und würden sicher bald in einem nassen, kalten Grab ruhen! Lina umfasste Riekes Hände und stimmte ein verzweifeltes Gebet an.
    Wenigstens konnten sie nicht schwimmen. Dass so etwas auch von Vorteil sein konnte, hatte sie von den Seeleuten gelernt. Wer nicht schwimmen konnte, der starb schneller als derjenige, der noch verzweifelt gegen den Tod ankämpfte, um dann doch zu verlieren.
    Der Sturm wütete entsetzlich lange. Lina wusste schon lange nicht mehr, ob es Tag oder Nacht war oder ob sie vielleicht schon gestorben waren und es nur noch nicht mitbekommen hatten. Als er endlich nachließ und die Auswanderer mit steifen, zittrigen Gliedern und noch grün von der Seekrankheit aus ihren Kojen krochen, konnte Lina nicht glauben, dass sie dieses Unwetter überlebt hatten.
    » The house , das Haus. The man , der Mann. The dog , die … der … ach, ist mir doch egal!« Rieke ließ das Buch sinken. »Wieso muss ich das blöde Englisch lernen? Ich dachte, in Nelson gibt es ganz viele Deutsche?«
    »Aber nicht nur«, wandte Lina ein. »Sobald wir dort sind, sind wir Untertanen der englischen Krone. Und als Engländer muss man Englisch sprechen! Wie willst du dich denn mit den anderen Siedlern unterhalten?«
    Rieke verzog das Gesicht und schlug das Buch mit einem sichtbaren Ausdruck des Widerwillens wieder auf.
    »Mir ist schlecht!«, maulte sie.
    »Das kann gar nicht sein. Gerade erst hast du Zwieback gegessen.«
    »Aber der schmeckt nicht. Außerdem waren eklige Maden drin.« Rieke legte das Buch neben sich und sprang auf. »Ich gehe nach oben.«
    Lina sah ihr kopfschüttelnd nach, wie sie von ihrer Koje kletterte, den Gang entlangging, die Steigleiter hinaufstieg und dann durch die geöffnete Luke verschwand. Wenn jemand nicht unter Seekrankheit litt, dann Rieke.
    Seufzend schlug sie nun selbst das Buch auf. » I am very pleased to meet you «, las sie leise und versuchte, sich die fremden Ausdrücke einzuprägen. »Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen. I am very … very pleased to meet you. «
    Wenn sie nur gewusst hätte, wie man das aussprach. Sie hätte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde, sich die fremde Sprache beizubringen. Es wäre leichter gewesen, wenn sie mit jemandem hätte üben können. Aber Rieke stand noch ganz am Anfang und von den anderen Auswanderern machte kaum jemand Anstalten, Englisch zu lernen.
    Wie man sie in Neuseeland wohl empfangen würde? Lina hatte Zeichnungen gesehen, die ihre neue
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