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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
Autoren: Inez Corbi
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den Kopf. »Alleine fahre ich nicht!« Mit versteinertem Gesicht drehte sie sich um. Sie brauchte ihre ganze Selbstbeherrschung, um nicht doch noch in Tränen auszubrechen. Der Raum schien plötzlich furchtbar klein zu sein. »Komm, Rieke.«
    Hinter sich hörte sie den Arzt und die Frau miteinander flüstern. Alles vorbei. Wie würde sie jetzt zurück nach Boltenhagen kommen? Und was würden sie dort tun? Nun, zunächst würde Lina wohl doch zu Dr. Kahles gehen müssen und …
    »Einen Moment, junges Fräulein.« Die Stimme des Arztes schallte durch den Raum. Lina drehte sich um.
    »Frau Wackers hier meint, ledige junge Frauen würden in Neuseeland durchaus gesucht. Und zumindest du« – er musterte Lina erneut durch seinen Zwicker – »scheinst mir ein patentes junges Fräulein zu sein. Du kannst kochen, sagst du?«
    »Ja«, brachte Lina hervor.
    »Und lesen?«
    Sie nickte.
    Er schob ihr die Liste mit den Anmeldungen hin. »Lies vor.«
    »›Schrepp, Heinrich Ernst. Schrepp, Sophia. Schrepp, Eli…‹«
    »Das genügt.« Der Arzt zog die Liste wieder an sich. Lina wagte nicht zu atmen, während er seinen Blick nachdenklich von ihr zu Rieke schweifen ließ. »Ich denke«, sagte er endlich, »ich kann vielleicht doch ein Auge zudrücken.«
    Der Stempel schwebte über der Liste, schien zu zögern. Dann endlich senkte der Arzt ihn auf das Papier.
    »Genehmigt. Und sobald ihr in Neuseeland angekommen seid, seid ihr sowieso Untertanen der britischen Krone. Sollen die Engländer sich dann um euch kümmern.«

Kapitel 3
    Am Sonntag, dem 21. April 1844, kehrten Lina und Rieke Salzmann ihrer Heimat für immer den Rücken.
    Dunkler Rauch stieg aus dem langen Schlot in den diesigen Hamburger Himmel. Die stampfenden Bewegungen unter Linas Füßen lösten ein leicht flaues Gefühl in ihrem Magen aus. Obwohl sie ihr Leben lang am Wasser gelebt hatte, war sie zum ersten Mal auf einem Schiff. Zumal auf einem Dampfschiff.
    An Bord des Dampfers, der sie zu ihrem Schiff bringen würde, winkten und riefen die Passagiere den Menschen am Kai zu. Für Rieke und Lina war niemand gekommen. Wer auch?
    »Du weinst ja«, stellte Rieke neben ihr fest.
    »Das ist nur der Rauch«, behauptete Lina und fuhr sich flüchtig über die Wangen. Im Gegensatz zu ihr selbst war Rieke bester Dinge. Sie hüpfte ungeduldig auf und ab und konnte es kaum erwarten, endlich in See zu stechen.
    Rechts und links glitten Gebäude und Kaimauern vorüber. Lina blickte zurück auf den Hamburger Hafen, aus dem ein wahrer Wald von Schiffsmasten aufragte, der nun allmählich kleiner wurde. Die Stadt schien zu schrumpfen. Für Lina fühlte es sich an, als würde ihr eine Hand langsam den Hals abdrücken, dann erfasste sie Angst. So sehr, dass sie am liebsten von Bord gesprungen wäre, hinein in das kalte, trübe Wasser der Elbe unter ihr. Krampfhaft klammerte sie sich an die Reling. Sie wollte nicht fort! Sie wollte ihre Heimat nicht verlassen!
    Dabei hatte sie es doch geschafft, hatte tatsächlich erreicht, dass sie und Rieke mitfahren durften. Fünf Tage lang hatte sie gebangt und gehofft, dass nicht noch irgendetwas dazwischenkam. Fünf Tage, die sie in einer billigen Absteige verbracht hatten. Lina hatte dafür ihr letztes Geld ausgeben müssen, das ihr vom Verkauf des alten Badekarrens geblieben war. Und wie alle anderen Familienoberhäupter – denn das war sie ja nun – hatte sie einen Vertrag mit dem Grafen von Rantzau unterschreiben müssen. Lina hatte nicht viel von dem langen, in kompliziertem Hochdeutsch abgefassten Schriftstück verstanden. Nur so viel, dass sie sich verpflichtete, in Neuseeland die Kosten für ihre Überfahrt abzuarbeiten. Aber das alles lag noch in weiter Ferne. Es würden viele Wochen vergehen, bis sie endlich dort sein würden.
    Hatte sie das Richtige getan? Wohin würden sie segeln, mit diesen Leuten, die sie kaum kannte? Über die wilde See zu einem fremden Ort am Ende der Welt? Was würde sie dort erwarten? Viele der anderen Auswanderer hatten schon mehr darüber gelesen. Vor allem Frau Fanselow war nicht müde geworden, Lina ihre zukünftige Heimat in den glühendsten Farben zu schildern. Ein Traumland sei dieses Neuseeland, ein wahres Paradies, so neu, so vielfältig, so wunderbar. Doch war es das wirklich?
    Sie hatten nicht einmal einen Pastor an Bord, der ein paar feierliche Worte hätte sprechen können. Und so schickte Lina selbst ein stummes Gebet in den trüben Aprilhimmel. Lieber Gott, lass alles gut werden!
    Über Linas Kopf
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