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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle
Autoren: Karla Schmidt
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wie ein neoklassizistischer Tempel.
    Das alles zusammen wirkte komisch und bedrückend zugleich, und
Janina hoffte, die Zimmer würden nach aktuellem Standard eingerichtet und nicht
irgendeiner grauenvollen historischen Authentizität verpflichtet sein.
    An der Rezeption bekamen sie von einem dürren Mann mit Dienstmütze
und dunklen Brillengläsern ihre elektronischen Schlüssel.
    Â»Die sind ganz neu. Wenn ihr euch an die Wege haltet, die wir für
euch freigeschaltet haben, könnt ihr euch eigentlich nicht verlaufen.«
    Der Mann sah selbst aus wie ein Relikt aus der Nachkriegszeit.
    Â»Wieso verlaufen?«, wollte Simon wissen.
    Der Mann hob die Brauen und zog einen rasselnden Schlüsselbund aus
einer Schublade. Eigentlich waren es vier oder fünf Schlüsselbunde an Ringen so
groß wie Untertassen, die alle ineinandergehakt waren.
    Â»Siehste die hier?«
    Simon war sichtlich beeindruckt. »Sind das alle?«
    Der Mann nickte. »Und nu rate mal, wie oft ich Anrufe kriege von
irgendwelchen Jungs in deinem Alter? Die steigen hier ein, und dann wissen sie
nicht mehr, wie sie rauskommen sollen. Ja, also, wir sind
hier in so einem Gang, und hier sind so Büros. Ha! Dann muss man die
erst mal finden. Kann Stunden dauern!«
    Die elektronischen Schlüssel sahen alt aus, wie aus Bakelit, und sie
hingen an ihren Zimmerschlüsseln.
    Â»Das hier ist kein Hotel mehr, es ist ein Bettenhaus. Die Rezeption
ist normalerweise nicht besetzt. Verliert die Dinger also nicht, sonst sitzt
ihr fest!« Er zog vergnügt die Mundwinkel in die Breite, die Vorstellung schien
ihm Spaß zu machen. »Und ich mache nicht jeden Tag einen kompletten Rundgang.
Eher einmal die Woche.«
    Dann gab er ihnen einen Gebäudeplan, der mehrere Seiten stark war.
    Janina seufzte. Ihre Orientierung war noch nie besonders gut
gewesen, aber in geschlossenen Gebäuden war sie erbärmlich. Wenn sich jemand
hier verlaufen würde, dann ganz sicher sie.
    Ihre Zimmer waren im dritten Stock. Vom Treppenhaus kam man in einen
geschwungenen Gang mit Neonlicht, hellem Teppichboden und einer hellgrauen Metallic-Abhängung
unter der Decke. Links und rechts gingen in regelmäßigen Abständen hellblau
lackierte Holztüren ab.
    Das Ende des Gangs war nicht zu sehen. Von der Treppe her sah es so
aus, als ginge es immer und immer weiter in diesem sanft geschwungenen Bogen.
DeeDee und Simon liefen voraus.
    Â»Nummer vierzehn, ich hab meins«, rief DeeDee fröhlich.
    Simon bemühte sich, ihr den Partiturkoffer ins Zimmer zu tragen.
Janina sah auf ihren eigenen Schlüssel. Nummer siebzehn. Die Bühnenleute
stellten Janinas Gepäck im Zimmer ab und einer von ihnen mit langen, gepflegten
Dreads fragte: »Und die Kostüme, sollen wir die gleich noch runterbringen?«
    In dem Fall hätte Janina ihr Gepäck erst einmal sortieren müssen,
und dafür war sie viel zu müde.
    Â»Ist nicht nötig, danke. Das mach ich schon.«
    Das Zimmer hatte zwei große Fenster, die fast bis zur
Decke hinaufreichten, und eine Glasflügeltür zum zweiten Raum – Simons Zimmer.
Dahinter war das Bad. Es würde ihm unangenehm sein, wenn sie dauernd durch sein
Zimmer gehen musste, womöglich kaum bekleidet. Janina seufzte. Sie würde sich
Mühe geben müssen.
    Die Ausstattung der Zimmer war zweckmäßig und bis auf die neuen
Betten stammte alles aus verschiedenen älteren Epochen:
    Zwei neu bezogene, dunkelblaue Sessel aus den Fünfzigern mit spitzen
Füßen, die Kreise in den hellblauen Teppich drückten, ein flacher Tisch mit
schwarzgolden unterlegter Glasplatte und einer klobigen Vase darauf. Schwere,
gelbe Vorhänge aus einem sicherlich feuerresistenten Synthetikmaterial und
zusätzlich graue Rollos, die man runterlassen konnte. Das Bett war aus
Metallrohr, ein bisschen wie in einer Zelle, aber es war neu, und die
Bettwäsche war weiß mit kleinen, grauen eingewebten Flugzeugmotiven. Nüchtern,
aber stylisch und irgendwie sehr typisch für Berlin.
    Janina musste lächeln. Vancouver, das war nur eine Flucht, eine
Sehnsucht nach Beschaulichkeit gewesen. Hier in Berlin, an der Seite eines
kreativen Giganten wie Josef Rost, hier, wo man in jeder ranzigen Ecke noch
eine Möglichkeit fand, die Welt weiterzudenken, genau hier wollte sie sein. Und
die Zimmer waren hell, groß, es gab eine Badewanne, und irgendwo auf dem Gang
sollte sich laut Plan auch eine
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