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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle
Autoren: Karla Schmidt
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knallte auf den Grabstein. Dann wieder nur Atmen, Keuchen.
    Â»Wo ist Simon?«
    Hatte er das gesagt, oder war sie selbst das gewesen? Wenn ja, dann
hatte sie sich eben verraten. Aber das spielte natürlich keine Rolle. Sie bog
seinen Kopf noch weiter zurück, fühlte seinen Widerstand.
    Das hier ist nicht Dave, dachte Janina und setzte das Messer an, und
seine Beine begannen einen wilden Tanz, als es die Haut an seinem Hals
berührte.
    Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis DeeDee wieder
herauskam und einmal, zweimal um den Schuppen herumlief. Simon verharrte starr
wie ein Stück Holz. Erst als ihr Humpeln sich von ihm entfernte, begann Simon
unkontrolliert zu zappeln, sich mit den Beinen abzustoßen, sich mit dem
Oberkörper voranzuwerfen. Er wusste, dass sie ihn hören würde, aber er konnte
nicht anders. Er war halb nackt, seine Haut und sein T-Shirt leuchteten weiß in
der Nacht, egal, wie dicht der Busch über ihm war, früher oder später würde sie
ihn sehen. Er musste Menschen erreichen, bevor sie ihn erreichte.
    Da war ein Steinplattenweg und Thujahecken, und Simon erkannte das
eiserne Tor, durch das sie hier hereingekommen waren, er und DeeDee, als sie
ihn wegen Rose Berlin hatte beruhigen wollen. Als sie ihn niedergeschlagen
hatte. Simon blieb hinter der Hecke und zog sich voran, während auf der anderen
Seite DeeDee fluchend durch die Nacht streifte.
    Das Tor war verschlossen. Es würde Simon nicht gelingen,
hinüberzuklettern. Nicht so.
    Er musste den Morgen abwarten. Musste hoffen, dass jemand ihn fand.
Jemand, der nicht DeeDee war. Simon rollte sich von dem Plattenweg zurück unter
die Hecke, drückte sich tiefer hinein, so tief es ging.
    Aber das genügte nicht.
    Janina drückte ein wenig stärker, und die Haut gab nach,
dünnes, hellrotes Blut quoll hervor, lief die Haut hinab, lief in den Kragen
hinein. Sie zog das Messer zurück und sah sich an, was sie getan hatte.
    Das war zu wenig Blut. So würde es nicht funktionieren. Sie musste
mehr Kraft aufwenden, so wie bei den Schweinehäuten, sie musste Druck und
Gewicht in die Bewegung legen, wenn sie die Lederhaut und die Gefäße
durchtrennen wollte. Sie musste am besten die Halsschlagader, die das Blut zum
Hirn brachte, durchtrennen. War die rechts oder links? Warum hatte sie sich das
nicht vorher überlegt? Das dauerte alles viel zu lange.
    Daves Beine hörten auf zu tanzen, und Janinas Hände begannen zu
zittern.
    Â»Janina? Bist du das?«
    Janina wollte nicht antworten, aber sie konnte nicht verhindern,
dass dieser Klagelaut aus ihrer Kehle drang, lang und wimmernd wie bei einem
Hund.
    Â»Was ist das für ein perverses Spiel? Wo ist Simon?«
    Janina griff erneut zu, fester. Das da war nicht Dave. Es war nur
eine Schweinehaut. Die Haut eines Schweins, das sie vor vielen Jahren schwanger
sitzen gelassen hatte. Das nicht nur ihr wehgetan hatte, sondern auch anderen.
Er verdiente es. Jetzt! Sie presste seinen Kopf auf den Grabstein, fester. Die
Kehle lag frei, die Haut glänzte, der Adamsapfel bewegte sich, als er
schluckte, und da war diese Sollbruchstelle, diese feine rote Linie, wo ihr
Messer seine Haut geritzt hatte, und aus dieser Linie quollen kleine, rote
Tropfen, die ebenfalls glänzten. Sie musste nur das Messer ansetzen und den
Schnitt vertiefen. Die Halsschlagader war egal. Sie würde es einfach gründlich
machen, einmal von ganz rechts nach ganz links. Jetzt! Jetzt!
    Die Klinge lag auf seinem Hals, jetzt fehlte nur noch der Druck, die
Bewegung.
    Sie öffnete den Mund, um ihre Angst mit einem Schrei zu übertönen,
doch der Schrei kam nicht von innen. Er kam von außen. Hoch, schrill, in
Todesangst.
    Der Fuß in Simons Genick war schwer, und seine offene
Wange wurde in die Hecke gedrückt, sodass er die kleinen, harten Zweige der
Thuja auf seiner Zunge spürte.
    Â»Hab dich schon«, sagte DeeDee. Sie klang beinahe amüsiert.
    Simon schrie.
    Â»Maul halten«, zischte DeeDee und drückte ihn mit dem Fuß noch
tiefer in die Hecke.
    Â»Halt’s Maul!«
    Doch er konnte nicht. Er schrie weiter, hoch, schrill, in
Todesangst.
    Es war so nah. Janina fuhr herum, erwartete beinahe, denjenigen
sehen zu können, der schrie. Simon zu sehen. Sie wusste mit absoluter Gewissheit,
dass es seine Stimme war. Aber sehen konnte sie ihn nicht.
    Und dann wurde es still.
    Â»Simon!«
    Janina packte das Messer fester, rannte los und stand nach
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