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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle
Autoren: Karla Schmidt
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nicht diese glühende,
wahnsinnige Wunde war.
    Â»Komm, tanz mit mir, Kleiner.«
    Wann hatte er seine Hände zuletzt gefühlt? Waren sie noch da, oder
hatte DeeDee sie abgeschnitten? Er konnte sich nicht erinnern. Er musste sie
fragen, ob sie ihn sterben lassen würde, aber es ging nicht. Seine Zunge lag
wie ein fremder Klumpen Fleisch in seinem Mund, er hatte keine Kontrolle
darüber, und jeder Versuch, sich zu bewegen, führte zu einem Aufwallen von
Schwärze, die ihn auslöschen wollte.
    Â»Steh schon auf«, herrschte DeeDee ihn an und zerrte ihn auf die
Füße.
    Simon konnte sich nicht halten, er sackte wieder in sich zusammen,
fiel hin. Mit der offenen Wange nach unten. Er hatte nicht einmal mehr die
Kraft zu schreien. Er wusste nur noch eins: Er musste hier raus. Er musste hier
raus. Er musste hier raus. Er …
    Â»Schwein!«
    DeeDee trat zu.
    Â»Lügner!«
    Simon bekam keine Luft mehr.
    Â»Steh auf!«
    Sie zog ihn wieder hoch, drückte sich von hinten fest an ihn, hielt
ihn fest, und diesmal gelang es ihm, auf den Füßen zu bleiben.
    Â»Los, beweg dich«, gurrte sie ihm ins Ohr.
    Â»Ein bisschen vor und zurück, ein bisschen hin und her, ein bisschen
rein und raus. Das kannst du doch, Schätzchen.«
    Simons Kopf hing schwer auf DeeDees Schulter.
    Â»Oder willst du warten, bis deine Mama kommt? Sie kommt sicher bald.
Sie muss vorher nur noch eine kleine Aufgabe lösen.«
    Simon wollte sich festhalten, um nicht wieder zu fallen, doch er
fand seine Hände nicht. Es gelang ihm lediglich, den unförmigen,
zusammengezurrten Klumpen am Ende seiner Arme gegen DeeDees Bauch zu drücken.
    Â»Tanz jetzt«, sagte sie eindringlich. »Für mich«, ihre Stimme nicht
mehr als ein heiseres Flüstern. »Tanz, mein kleiner Davey, tanz mit mir. Tanz
in mir.«
    Ihre eiskalte Hand fuhr zwischen seine Beine, da war keine Hose, die
hing noch immer auf seinen Knien.
    Â»Verdammt. Du stinkst!«
    DeeDee stieß Simon von sich, sodass er gegen die Bretterwand
knallte. Er hörte, wie das alte Holz knirschte, vielleicht sogar brach. Nur
fühlte er nichts mehr. Nicht das Geringste. Es war, als ob das Maß voll war, als
ob mehr einfach nicht ging und sein Körper einen Hebel umgelegt hätte –
Schmerzen aus.
    Simon fiel nach vorne und seufzte erleichtert. Nun würde vielleicht
auch der Rest bald vorbei sein.
    DeeDee zog ihn wieder hoch, und er half ihr, so gut er konnte, damit
es nicht so lange dauerte. Als sie ihn das nächste Mal gegen die Wand
schleuderte, brach die kleine Scheibe, durch die er tagsüber ein wenig
staubiges Licht bekam, und er landete in den Scherben.
    Es hatte noch nicht ganz gereicht, er war immer noch da, und DeeDee
hatte keine Kraft mehr, sie rang nach Luft, als hätte sie gerade ein Bühnensolo
hinter sich.
    Mit einem letzten hellen Punkt seines Bewusstseins nahm Simon wahr,
dass sie in großen Schlucken aus ihrer Flasche trank. Kein Sekt mehr. Der
härtere Stoff. Simon sah es mit dem einen Auge, das nicht im Dreck lag. Sie
hielt die Flasche dicht vor sein Gesicht. Jameson, zwölf Jahre, las er. Vierzig
Prozent.
    Â»Wir sollten uns um deine Wunde kümmern. Wir wollen doch nicht, dass
sich da etwas entzündet, bevor Mama kommt, oder? Nein.«
    Und dann kam der Schmerz zurück. Als sie ihm den Whiskey durch den
Schnitt in der Wange in den Mund goss, vorsichtig, damit nichts danebenlief,
brannte er sich in sein Ohr hinauf, sein Auge schmolz, und sein Hals wurde in
Fetzen gerissen, als er sich schreien hörte.
    Â»Du solltest Qualität zu schätzen wissen, kleiner Davey. Nicht so
wählerisch sein.«
    Als sie ihm einen weiteren Schluck ins Gesicht goss, versank Simon
endlich im Nichts. Er hoffte, dass er nicht zurückkehren würde.
    Janina arbeitete im Dunkeln, wagte es nicht, sich durch
die Taschenlampe vielleicht zu verraten. Es kam nur auf die nächste Schaufel
Erde an. Es kam nur darauf an, dass sie dieses Loch fertig grub. Sie musste
fertig werden, bevor Dave auftauchte. Sie biss die Zähne zusammen, als eine
Blase an ihrer Hand platzte und das Wundwasser sich mit Erde mischte. Sie
musste sich konzentrieren.
    Lang genug, breit genug und tief genug musste es sein, damit nicht
beim ersten Regen etwas hochkam, eine Hand oder ein Arm, und Janina hatte
plötzlich alberne Bilder aus einem alten Musikvideo vor Augen, in dem Zombies
sich über einen hübschen schwarzen Jungen
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