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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle
Autoren: Karla Schmidt
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und seine Freundin hermachten. Und
dann wurde er selbst zum Zombie und … Janina schüttelte den Gedanken ab. Sie
musste fertig werden, trotz ihrer Erschöpfung, trotz der Angst. Nein, wegen der
Angst.
    Die Dunkelheit war nicht vollständig, da war ein letzter Schimmer
der Straßenbeleuchtung, und der bewölkte Himmel warf ebenfalls Licht an diesen
Ort zurück, den Janina sich vollkommen schwarz wünschte, um selbst nicht sehen
zu müssen, was geschehen würde. Andererseits wurde sie sicherlich beobachtet.
Sie spürte schon den ganzen Tag die Blicke, fühlte, dass jemand hinter ihr her
war. Aber sooft sie sich umgedreht hatte, sie hatte niemanden entdecken können.
Sie passten auf, dass sie ihre Aufgabe ernst nahm. Es war gut, dass es nicht
ganz dunkel war. Dann sahen sie, dass sie ihren Teil erfüllte.
    Janina warf den Spaten zur Seite, nahm den Rucksack vom Rücken und
überprüfte zum hundertsten Mal, ob der zweite Zettel, den sie vorbereitet
hatte, darin war. Sie las die Worte, die sie mit Staunen von jenem anderen Ort
empfangen hatte, ein letztes Mal.
    Rucksack über den Kopf. Klappe nach hinten.
Unterm Kinn zuziehen. Mit dem Rücken zum Grabstein auf die Plane setzen. Mit
den Händen nach hinten und um den Grabstein herumfassen. Wenn Du mitspielst,
ist Dein Sohn heute noch frei. Wenn nicht, ist er tot. Und: Maul halten.
    Hoffentlich brachte Dave eine Taschenlampe mit. Oder wenigstens ein
Feuerzeug. Sie hätte daran denken sollen, eins in den Rucksack zu legen. Dann
hätte sie auch noch auf den Zettel schreiben können, dass er ihn nach dem Lesen
verbrennen sollte. Janina unterdrückte ein Schluchzen. Was, wenn es jetzt daran
scheiterte, dass er den Zettel im Dunkeln nicht lesen konnte? Würde sie einen
weiteren Versuch bekommen? Nein, die Worte waren dort so erschienen, eine
höhere Macht hatte die Führung übernommen, und die wusste, was sie tat. Sie war
nur das ausführende Organ. Sie musste sich keine Gedanken machen. Alles hatte
seine Richtigkeit.
    Janina griff nach der festen Plane, die sie neben dem Grabstein
abgelegt hatte, und faltete sie auseinander. Es störte sie, dass das Knistern
und Rascheln andere Geräusche um sie herum überdeckte. Sie würde ihn nicht
kommen hören. Janina beeilte sich, die Sache zu Ende zu bringen.
    Dann hielt sie inne. Sie hatte an alles gedacht. Nichts vergessen.
Jetzt fehlte nur noch Dave. Janina zog sich in den Schatten der Bäume zurück.
    Lichter tanzten vor Simons Augen. Pinkfarben und rot,
himmelblau. Sie drehten sich, und Simon drehte sich mit ihnen, bis ihm schlecht
wurde und Erbrochenes aus dem Schnitt in seiner Wange quoll.
    Dann war er also wieder da. Und es war dunkel. War sie auch da? Er
hörte nichts, kein Glucksen, kein Atmen, keine hinkenden Schritte. Er war
allein. Und das war wahrscheinlich seine letzte Chance.
    Simon legte sich flach auf den Rücken und begann damit, den Körper,
den DeeDee ihm gestohlen hatte, wieder in Besitz zu nehmen. Er fing bei den
Füßen an. Geschwollen, taub durch die zu eng gebundene Wäscheleine. Seine Füße.
Er wollte sie wiederhaben! Die Knie: Wenn er sie beugte, spürte er das Spannen
der Schnittwunden von dem zerbrochenen Glas auf dem Boden. Eine Kleinigkeit,
die er leicht verkraften konnte. Aber wenn er jetzt weiter nach oben kam, dort
wurde es schwierig, bei vollem Bewusstsein zu bleiben, zu spüren und sich nicht
wieder an den dunklen, stillen Ort zu flüchten, wo er nicht da war. Eine Rippe
war vielleicht gebrochen, jeder Atemzug verursachte ein Stechen, das ihm fast
die Besinnung nahm. Die Hände waren immer noch hinter seinem Rücken
zusammengebunden, und er spürte sie nach wie vor gar nicht, auch wenn er sich
darauf konzentrierte. Also weiter. Nach einem vorsichtigen, tiefen Atemzug ließ
Simon seine Aufmerksamkeit zu seinem Gesicht hinaufwandern, ließ sie die Ränder
des Schnitts in seiner Wange abtasten. Sie waren verklebt, und wenn er mit der
Zunge nach dem Ende der Wunde suchte, kam sie ihm so groß vor wie sein gesamtes
Gesicht. Panik begann wie eine heiße Quelle in seiner Brust zu sprudeln. Simon
beobachtete das Gefühl. Und ertrug es, bis es langsam abebbte. Das Brennen und
Pochen, das rührte von den vielen Nervenenden im Mund her. Zu viele
Nervenenden, die Simon nicht beruhigen konnte, so sehr er sich auch darauf
konzentrierte.
    Es wurde Zeit, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.
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