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Die Riesen vom Hungerturm

Die Riesen vom Hungerturm

Titel: Die Riesen vom Hungerturm
Autoren: Horst Hoffmann
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die Hand dort, wo sie war.
    Die Amme machte eine beschwörende Geste.
    »Es ist… Oh, Herr, das Kind mag dich täuschen. Doch es ist nicht so, wie du es siehst.«
    »Geschwätz!« rief Andraiuk. »Weibergeschwätz! Bist du nicht mehr imstande, vernünftig zu reden?«
    Die Alte schien mit sich zu ringen. Endlich verlor ihr Gesicht die Starre. Besorgnis und Furcht zeichneten sich darin ab.
    »Herr, ich sah des Kindes Augen, wie sie sich veränderten. Es sah mich so an wie nun dich. Und die Augen bekamen einen Glanz, der… der nicht von dieser Welt sein kann. Dann sah ich es, wie es wirklich ist.« Sie holte tief Atem. Plötzlich überschlugen sich ihre Worte. »Herr, ich sah ein Gesicht, wie es keines Menschen ist! Ich wollte fortlaufen, doch keinen Schritt konnte ich tun. Mir wurde elend und schwindlig, und Schmerzen erfüllten mich, wie ich sie nie zuvor kannte. Ich konnte mich nicht losreißen. Es hatte Gewalt über mich, und…«
    »Genug!« herrschte Andraiuk sie an. »Ist das etwa alles, was vorgefallen sein soll? Die Einbildung eines alten Weibes?«
    »Herr, ich half diesem Kind ans Licht der Welt. Ich liebte es, als wäre ich selbst die Mutter. Ich… verzeih!«
    »Du weißt nicht, was du redest!«
    »Vielleicht weiß ich es nicht. Doch ich weiß, was ich sah. Mag meine Zunge krank sein und ungeschickt. Meine Augen sind es gewiß noch nicht. Sieh selbst.«
    Und sie schob den linken Ärmel ihres weißen Gewands nach oben, bis Andraiuk die aufgeplatzte Haut und die Wundmale dicht unter ihrem Ellbogen sehen konnte.
    »Gleiches habe ich an vielen anderen Stellen meines Körpers«, sagte sie leise. »Ich mußte die Kleider wechseln, denn die alten waren voller Blut. Frage Murac danach, denn zu ihm lief ich in meiner Not.«
    Andraiuk wurde unsicher. Dies waren fürwahr keine Wunden, die ein Messer zufügte.
    »Das kann das Kind nicht getan haben!« sagte er dennoch trotzig.
    Die Amme schwieg. Andraiuk wandte sich wieder Lillil zu – und erschrak.
    Etwas war in den Augen des Kindes, ein schwach glimmendes Feuer, das aus der Tiefe seiner Blicke heraufstieg und stärker wurde.
    Seine Hand war plötzlich schwer und heiß. Unwillkürlich zog er sie zurück.
    Das Feuer erlosch, bevor er zum zweitenmal hinsehen konnte. Das Neugeborene lag vor ihm und lächelte ihn an.
    Doch das war nicht das Lächeln eines drei Tage alten Kindes!
    Andraiuk richtete sich auf und trat einen Schritt zurück.
    »Zu niemandem ein Wort davon«, befahl er der Amme. »Alamog wird bald hier sein und Rat wissen.« Unsicher sah er wieder Lillil an, dann die Alte. »Kannst du bei ihm bleiben?«
    Sie nickte zögernd. Doch war ihr anzusehen, daß ihr die Nähe des Kindes unheimlich war.
    »Ich schicke dir Murac. Die anderen Wunden, von denen du sprachst, sind sie schlimm?«
    »Murac bestrich sie mit einer Salbe. Er sagte, daß sie heilen würden.«
    Andraiuk legte ihr eine Hand auf die Schulter.
    »Dann wird er auch weiteres Unheil zu verhindern wissen. Doch öffne nur ihm und mir. Ich komme zurück, sobald ich kann.«
    Sie nickte tapfer. Andraiuk sagte ihr noch einige aufmunternde Worte, ohne selbst von ihnen überzeugt zu sein. Als er den Raum verließ, war es ihm, als trete er aus dunkler Nacht in den hellen Tag hinein.
    Alamog! dachte er. Beeile dich! Rette dieses Kind! Rette uns alle!
    Eine Tür wurde aufgezogen, nur einen winzigen Spalt breit, als er die Treppe wieder erreichte und die Stufen hinunterstieg. Dunkle Augen spähten auf den Gang hinaus.
    Andraiuk aber begab sich zur Königin, um bei ihr zu wachen. Murac schickte er zur Amme, und Tarakon würde ihm Nachricht bringen, sollte Yavus oder Alamog zurückkehren oder Unheil durch die Vogelreiter drohen.
    Des Königs gefährlichste Feinde aber waren ihm näher, als er ahnte.

2.
    Allmählich gewöhnte sich Luxon an die Tokapis. Hatte er anfangs noch Mühe gehabt, sich im Sattel zu halten, so bewunderte er jetzt nur noch die Wendigkeit und das Klettervermögen dieser ungewöhnlichen Tiere, die fast die Größe eines Pferdes hatten, doch ungemein kräftiger waren. Er und Alamog ritten fast ohne Pause, denn hoch über ihren Köpfen, irgendwo hinter den dunklen Nebeln verborgen, zog Quida auf dem Rücken ihres Drachen ihre Kreise und schickte den Flüchtenden ihre Flüche hinterher. Auch die Valunen folgten ihnen, so daß Luxon es nicht erwarten konnte endlich aus der Düsterzone herauszukommen.
    »Wie weit noch?« rief er Alamog zu.
    Der Leibmagier des ayischen Königs brachte sein Reittier
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