Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Riesen vom Hungerturm

Die Riesen vom Hungerturm

Titel: Die Riesen vom Hungerturm
Autoren: Horst Hoffmann
Vom Netzwerk:
muß.«
    Alamog hatte nichts einzuwenden. Es hatte während der letzten Tage keine weiteren Anzeichen dafür gegeben, daß das Kind besessen war. So hoffte er, Andraiuk heute wenigstens diese Sorge nehmen zu können.
    Doch ahnte er nicht, auf welch grausame Weise das Schicksal ihm diese Aufgabe abnahm. Arglos betrat er hinter Andraiuk Sabris Schlafgemach. Es war verlassen.
    »Aber…« Andraiuk blieb stehen und schüttelte den Kopf. »Wo ist sie? Wo ist das Kind?«
    Eine Aura des Unheils erfüllte den Raum. Alamog konnte sie förmlich greifen. Er war versucht, den König am Arm zu nehmen und zurückzuziehen. Doch schon hatte dieser das weit geöffnete, große Fenster gesehen und lief darauf zu.
    »Geh nicht, Herr!« rief Alamog. »Warte!«
    Andraiuk hörte nicht auf ihn. Er beugte sich weit aus dem Fenster, blickte in die Tiefe und stieß einen Schrei aus, den Alamog nie mehr würde vergessen können.
    Bevor er den König erreichte, wußte er, was geschehen war. Andraiuk bebte am ganzen Leib. Immer noch schrie er, und unten, neben Sabris und des Kindes zerschmetterten Körpern, strömten die Krieger der Palastwache zusammen. Es gab nichts mehr, das sie tun konnten.
    Vom Schmerz gelähmt, brauchte Alamog eine Weile, bis er Andraiuk zurückziehen und auf ihn einreden konnte. Doch fand er kaum die Worte, die das ausdrückten, was ihn erschütterte. Andraiuk ließ sich an Sabris Lager führen und setzte sich. Er schrie nicht mehr. Doch seine Blicke waren starr in unbekannte Fernen gerichtet.
    »Das war Dämonenwerk«, brachte er endlich hervor. Seine Fäuste trommelten auf den Rand des Lagers. Tränen quollen ihm aus den Augen und rannen die Wangen herab.
    »Sie schien so glücklich, Alamog! Sie hatte gerade wieder zu leben begonnen! Oder täuschte sie mich die ganze Zeit über?«
    Er suchte in den Augen des Magiers nach Antworten, die ihm dieser nicht geben konnte. Er fand sie selbst, wurde von Weinkrämpfen geschüttelt und sank in die zerwühlten Laken.
    Aufdem Gang waren die Laufschritte der Wachen zu hören. Alamog wies sie zurück, als heftig an die Tür geklopft wurde.
    Auf einem kleinen Tischchen fand er einen Zettel, auf dem stand:
    » Verzeih mir, mein Gemahl. Vielleicht wirst du mich eines Tages verstehen. Lillil war nicht zum Leben geboren. «
    Wortlos reichte er Andraiuk die Nachricht. Der König las sie, immer und immer wieder. Noch einmal verbarg er sein Gesicht in den Händen.
    Als er dann aufsah, war wieder das Feuer in seinen Blicken, das so viele Jahre nicht mehr in ihnen gebrannt hatte. Andraiuk zerknüllte das Papier und stand auf. Den Blick aus dem Fenster gerichtet, sprach er mit tonloser Stimme:
    »Es mußte wohl so kommen, Alamog. Vielleicht bedurfte es dieses Opfers, um mir die Augen zu öffnen. Was hast du mir über Luxon zu sagen?«
    Überrascht über die plötzliche Veränderung, die mit seinem König vonstatten gegangen war, sagte der Magier:
    »Er ist der echte Shallad, Herr. Sein Rat ist gut.«
    »Dann soll es so sein, wie er es vorschlug!« Andraiuk drehte sich um, und Alamog erschrak vor der grimmigen Entschlossenheit in seinen Zügen. Dies war wahrhaftig wieder Andraiuk der Zornige!
    »Wir werden kämpfen, Alamog! Wir werden unsere Freiheit bis zum letzten Blutstropfen verteidigen! Geh und bringe Luxon zu mir! Er soll die zehntausend Krieger bekommen und mit ihnen und Iugon ins Shalladad ziehen! Wahrlich, Sabri, dein Opfer soll nicht umsonst gewesen sein! Hole Luxon, Alamog! Und schicke mir auch Yavus und Tarakon!«
    Alamog verneigte sich leicht und tat, wie ihm geheißen. Auf dem Weg zu Luxons Quartier hörte er das Lärmen der Vogelreiter unten in der Halle, und er wußte, daß die Tage der Demütigung gezählt waren.
    Er hoffte für Luxon, daß auch Dryhon mit den ayischen Kriegern und den Vogelreitern ziehen würde.
    Und Schmerz überkam ihn, als er daran dachte, wie sehr sich Luxon und Andraiuk im Grunde doch glichen. Nicht nur, daß beide nun Kampfgefährten sein würden. Sie waren beide auf ihre Weise einsame Männer. Sie beide hatten so vieles verloren.
    Und vieles stand ihnen noch bevor. Im Augenblick mochte Andraiuk seinen Kummer im Rausch des Zornes ersticken können. Dann aber, wenn der Palast nach dem Abzug der Vogelreiter und Krieger verwaist sein würde, mußte das bittere Erwachen kommen.
    Und Luxon mußte durch seine eigene Hölle gehen – tausendmal.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher