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Die Riesen vom Hungerturm

Die Riesen vom Hungerturm

Titel: Die Riesen vom Hungerturm
Autoren: Horst Hoffmann
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des Henkers sein Ende gefunden hätte. Es war etwas an ihm, das über jeden Zweifel erhaben war. Und nicht nur mir ging es so. Ich sah, wie die Menschen zu ihm aufblickten, das Entsetzen in ihren Augen, als er die verhängnisvollen Worte sprach. Es war eine Kraft in ihm, die…« Er suchte nach Worten und fand sie nicht.
    »Es hat nicht sein sollen«, murmelte Andraiuk. »Yavus, uns bleibt keine Wahl mehr. Ich selbst fühle mich als Verräter an meinem Volk. Wie oft habe ich mich gefragt, ob es richtig war, mit Shadron zu verhandeln, ob es nicht ehrenvoller für jeden Ay gewesen wäre, im Kampf zu sterben als in der Sklaverei ein unwürdiges Leben führen zu müssen.«
    »So darfst du nicht reden«, wehrte Yavus ab. »Nicht einmal denken darfst du es. Jeder König, dem das Wohl seines Volkes am Herzen liegt, hätte gehandelt wie du.«
    Andraiuk blickte ihn dankbar an. Doch die Sorgenfalten auf seiner Stirn verschwanden nicht.
    »Du meinst es sicher gut, mein treuer Yavus«, sagte er. »Doch sieh die Zeichen. Unglück kam über mich und meine Familie. Die Macht der Dämonen wächst von Tag zu Tag. Sie nahmen mir mein Kind, und bald werden sie mir alles nehmen.«
    Der Vertraute zog fragend eine Braue in die Höhe, und Andraiuk berichtete ihm, was während seiner Abwesenheit geschehen war.
    Wieder dauerte es eine Weile, bis er den Kopf hob und sprach:
    »Aber in einem täuschst du dich ganz gewiß, Herr. Alamog kann nicht tot sein, sah ich ihn doch auf dem Weg hierher mit meinen eigenen Augen!«
    Andraiuk sprang auf.
    »Was sagst du da? Wo?«
    »Hier im Palast. Aber… du weißt nicht, daß er…?«
    »Du hast einen anderen gesehen!«
    »Ganz gewiß nicht. Es war Alamog. Doch nun will es mir scheinen, daß er sich zu verbergen suchte.« Yavus nickte heftig. »Und nach allem, was ich nun weiß, hätte er Grund dazu.«
    »Solltest du recht haben, mein treuer Freund«, flüsterte der König, als hätten die Wände Ohren, »so kann er sich nur an einem Ort aufhalten. Komm mit!«
    Noch konnte Andraiuk nicht an die Nachricht glauben. Doch zum erstenmal seit vielen Tagen brannte wieder etwas vom alten Feuer in seinen Augen.
*
    Andraiuk berührte einige Stellen in der Täfelung einer Wand. Sie öffnete sich, und dahinter führte ein enger Geheimgang aus dem Gemach. Der König nahm eine Fackel aus einem Halter und leuchtete in die Dunkelheit.
    Hinter Yavus schloß sich lautlos die Wand.
    »Nur er weiß um diesen Gang und die geheimen Gemächer unter dem Palast«, flüsterte Andraiuk, während er voranging. Sie gelangten zu einer gewundenen Treppe mit schmalen Stufen. »Nur er und ich – und nun du. Wenn du wirklich ihn sahst, so wollte er dies.«
    Yavus stellte keine Fragen. Er folgte seinem König die Stufen hinunter, über weitere enge Gänge, die in den Fels unter dem Palast gehauen waren, dann wieder Treppenstufen hinab, bis sie schließlich vor einer halboffenen Tür standen, aus der ein schwacher Lichtschein fiel.
    Andraiuk stieß leise die Luft aus und zog einen Dolch unter dem Gewand hervor. Unsicher blickte er Yavus an. Das Licht der Fackel warf gespenstische Schatten auf die Gesichter der beiden Männer und die Mauern. Totenstille umfing sie. Nur irgendwo tiefer in diesem Labyrinth tropfte Wasser von einer Decke herab.
    Andraiuk stieß die Tür auf.
    Alamog erhob sich hinter einem länglichen Tisch und kam lächelnd auf den König zu. Er streckte ihm beide Hände entgegen. Andraiuk stand für Augenblicke fassungslos im Eingang. Dann entrang sich ihm ein Seufzer der Erleichterung. Er steckte die Klinge fort und ergriff die Hände des Magiers.
    »Alamog«, flüsterte er. »Und wir alle glaubten, du seiest tot.«
    »Du siehst, ich lebe, Herr. Doch war es ganz gut, daß niemand um mein Hiersein wußte – zumindest bis jetzt. So konnte ich genug in Erfahrung bringen.«
    »Wovon redest du?« wollte Andraiuk wissen.
    Das Lächeln gefror auf Alamogs zerfurchtem Gesicht. Er schob dem König und Yavus Stühle zu und nahm selbst wieder hinter dem Tisch Platz, auf dem große Pergamentkarten ausgebreitet waren. Andraiuk warf einen kurzen Blick darauf, doch die magischen Zeichen sagten ihm nichts.
    Er nickte Alamog auffordernd zu.
    Dieser berichtete nun von seinem Vorstoß in die Düsterzone, vom Verlust seiner Begleiter und dem Aufleuchten des Bösen Auges. Nichts sparte er aus, und so erfuhr Andraiuk davon, wie er das Böse Auge der Quida hatte besiegen und der Hexe für alle Zeiten das Handwerk legen können. Auch verschwieg er
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