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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki
Autoren: Christiane Gibiec
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der
Frauenfrage genau das Gleiche, wir lassen uns auch nicht mehr
mundtot machen.«
    »Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte
Lina. »Manchmal denke ich, der Weg ist so weit, wer hat schon einen
so langen Atem.«
    »Ach, Lina, wir müssen uns weiter
treffen, lass uns Freundinnen sein. Mit den Gänsen aus meiner alten
Schulklasse kann ich überhaupt nichts mehr anfangen, die haben
nichts im Kopf als diese unmöglichen Humpelröcke und wie sie sich
einen möglichst reichen Wilhelm angeln
können.«          
    Anna drückte Linas Arm, blieb stehen
und küsste sie auf die Wange. Andere Spaziergänger drehten sich um
und tuschelten.
    »Guck, die Spießbürger, jetzt sagen
sie bestimmt, dass wir vom anderen Ufer sind, komm, wir ärgern sie
noch ein bisschen.«
    Anna küsste Lina auf die andere
Wange, legte ihr den Arm um die Schultern und schob sie
hüftschwenkend voran.
    »Wie interessant, wie interessant!
Schauen Sie mal!« Sie drehte sich provozierend zu einem älteren
Ehepaar um, das stehen geblieben war und die beiden
anstarrte.
    »Das ist hier besser als im Zoo, wir
verlangen noch nicht mal Eintritt, alles umsonst.«
    Sie küsste Lina ein drittes Mal und
fing an zu kichern, wie nur sie kichern konnte, atemlos, gickelnd,
dazwischen Luft einziehend und kleine Schreie ausstoßend. Lina
wurde angesteckt, und sie lachten, bis ihnen die Tränen
herunterliefen. Das Ehepaar setzte entrüstet seinen Weg fort und
drehte sich noch mehrmals um.
    »Dass du immer noch so lachst«,
keuchte Lina, als sie wieder Luft bekam, »wie oft habe ich daran
gedacht, dass ich keinen Menschen kenne, der so lachen kann wie
Anna Salander.«
    »Dabei dachte ich schon, hier in
Elberfeld vergeht es mir«, sagte Anna. »Mein Vater ist übrigens
kreuzunglücklich, weil Onkel Eli gehen will. Weißt du, was in ihn
gefahren ist? Er kann doch nicht einfach nach zwanzig Jahren das
Handtuch werfen, er hat doch alles mit aufgebaut.«
    Von den umliegenden Kirchtürmen
schlug es drei Uhr. Statt zu antworten, machte Lina sich von Anna
los, übergangslos sah sie aus, als würde sie gleich in Tränen
ausbrechen. »Ich habe ihn lange nicht gesehen, ich weiß von nichts.
Und jetzt muss ich zurück, sei mir nicht böse. Ich hoffe, wir sehen
uns bald.«
    Lina gab Anna einen fedrigen Kuss
auf die Wange, dann lief sie gehetzt über den Rasen bergabwärts.
Anna sah ihr nach und wunderte sich über Linas abrupten
Stimmungsumschwung, sie hatte ihr noch nicht mal ihre genaue
Adresse gegeben. Kopfschüttelnd machte Anna sich auf den
Heimweg.
    *
    Pekka saß zerknittert im Kontor in
seinem Ohrensessel und trug Zahlen in einen großen Folianten ein.
Auf seinem Schreibtisch stand eine Kaffeekanne, aus der er sich
immer wieder nachschenkte. Anna zog einen Stuhl heran und setzte
sich neben ihn.
    »Ich habe Lina Pasche getroffen, du
erinnerst dich doch an sie? Endlich mal eine vernünftige Seele in
diesem Muckertal.«
    Pekka antwortete nicht und beugte
sich noch tiefer über sein Kontobuch.
    »Jetzt sag mir endlich, was mit
Onkel Eli ist, er geht doch nicht ohne Grund, da muss was
vorgefallen sein.«
    Pekka kratzte auf dem Papier
herum.
    »Was soll vorgefallen sein«,
brummelte er schließlich, »der will eben noch mal was anderes
kennen lernen. Das ist doch ganz normal. Wir werden auch ohne ihn
zurechtkommen. Wenn du dich auf den Laden konzentrierst, kann ich
mich ganz um die Kürschnerei kümmern.«
    Es war offenkundig, dass er
Ausflüchte machte. Es musste ihn tief treffen, wenn Schlipköter
ging und sich dazu auch noch ausgerechnet von Honscheid abwerben
ließ. Pekka hatte den Nachbarn nie sonderlich gemocht, aber vor
zwei Jahren, als die Sozialdemokraten zum ersten Mal in den
preußischen Landtag eingezogen waren, war es zum offenen Bruch
gekommen. Bei einem beiläufigen Gespräch auf der Straße hatte Pekka
sich erfreut über den Wahlerfolg gezeigt, und Honscheid hatte, mit
Verweis auf Rosa Luxemburg, die Sozialdemokraten als einen Haufen
verrückter, vaterlandsloser Juden bezeichnet, die eigentlich ins
Gefängnis gehörten. Daraufhin hatte Pekka ihn einen reaktionären
Kriegstreiber genannt und einfach stehen gelassen. Dass es
gleichzeitig mit Hönscheids Geschäft bergab ging - was seinem
einfallslosen und lieblos präsentierten Sortiment zuzuschreiben war
- bereitete Pekka natürlich große Genugtuung. Andererseits
vergrößerte Honscheid die Zahl an Neidern, die der erfolgreiche
Finne immer schon unter den Elberfelder Geschäftsleuten gehabt
hatte.
    Anna nahm sich
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