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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki
Autoren: Christiane Gibiec
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fing sie an zu gickeln, kleine Schreie auszustoßen
und dazwischen Luft einzuziehen. Pekkas gramvoller Gesichtsausdruck
erhellte sich, er liebte ihre Lachausbrüche.
    »Komm, Papa«, japste sie atemlos,
»lass uns singen, los, den Wandergesell, den kannst du so
schön.«
    »Louisschen, du musst
mitmachen!«
    Pekka schob Anna auf sein eines Knie
und zog Louise auf das andere.
    Ich bin nur ein armer
Wandergesell Gute Nacht, liebes Mädel, gut' Nacht. Gar dünn ist mein Arsch
und gar dick ist mein Fell
    Gute Nacht, liebes Mädel, gut'
Nacht.
    Louises Grübchen erschienen, und
ihre Augen leuchteten, sie konnte vor Lachen kaum singen und
brachte nur falsche Töne hervor, aber Pekka schmetterte mit schönem
Tenor, und Anna fiel mit ihrer hellen, etwas schrillen Stimme
ein.
    Gute Naaacht, gute
Naaacht,
    gute Nacht, liebes Mädel, gut'
Naacht.
    »Man denkt ja, man ist im Tollhaus
gelandet!« Louise lachte immer noch, dann stand sie schnell auf.
»Sagt Bescheid, wenn ihr wieder normal seid, dann können wir zu
Abend essen.«
    *
    Am nächsten Vormittag wollte Anna
nach Düsseldorf fahren, um in Pekkas Auftrag die Mode- und
Pelzgeschäfte zu inspizieren und Aufzeichnungen über die
Dekorationen und die neuesten Modeerscheinungen zu machen. Diese
konnte man nirgends so gut studieren wie in der rheinischen
Metropole.
    Bevor sie sich auf den Weg zum
Bahnhof machte, ging sie in die Kürschnerei, um mit Elias
Schlipköter zu sprechen. Beim Frühstück hatte sie versucht, in
Louise zu dringen, ob sie nicht doch eine Erklärung für sein
Verhalten habe, aber die hatte nur gemurmelt, sie wisse auch nicht,
was mit dem alten Brummkopf los sei, sicher werde nichts so heiß
gegessen, wie es gekocht werde.
    Anna hatte Schlipköter kaum gesehen,
seitdem sie zurück war. Immer, wenn sie die Kürschnerei betrat,
verschwand er, und sie hatte den Eindruck, dass er ihr auswich.
Auch jetzt sah er kaum hoch und nickte nur knapp, als sie an seinen
Arbeitstisch trat. »Ich höre, du willst uns verlassen, Onkel Eli«,
sagte Anna leise, damit die anderen es nicht hörten, »das kann doch
gar nicht wahr
sein.«          
    Das Geplapper der Nähmädchen am
Nachbartisch wurde leiser, und Anna zog Schlipköter in sein Kontor
in der Kürschnerei. Sie kannte ihn seit ihrer Kindheit, immer schon
war er verschlossen und in sich gekehrt gewesen. Er sprach nur das
Nötigste, und es schien, als verberge er nicht nur sein Gesicht,
sondern seine ganze Person hinter dem roten Bart, der inzwischen
grau gestreift war und sein Gesicht so zuwucherte, dass seine Mimik
kaum zu erkennen war. Seine hellblauen Augen, die von dicken, roten
Brauen überschattet wurden, blickten freundlich, aber immer ein
wenig ängstlich. »Er ist ein Mensch, den man beschützen muss«,
sagte Pekka, »aber er ist der beste Kürschner von Preußen,
ausgerechnet dieses Goldstück habe ich gefunden.«
    Jedes Jahr zu Weihnachten zahlte er
seinem Kürschnermeister eine Sondergratifikation, die sich am
Geschäftsumsatz bemaß. Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen
waren selten, und wenn sie überhaupt vorkamen, bezogen sie sich auf
unwichtige Dinge wie die Anlage eines bestimmten Schnittes oder die
Eigenschaften eines Felles, die sie unterschiedlich beurteilten. Im
Grunde genommen waren sie immer ein Herz und eine Seele gewesen,
Anna konnte sich überhaupt nicht vorstellen, weshalb der Bruch
entstanden war.
    Schlipköter blieb an seinem
Schreibtisch stehen und sagte nichts, Anna kannte ihn jedoch gut
genug, um zu erkennen, dass die Sache ihn heftig
bewegte.
    »Es muss doch einen Grund geben«,
bohrte sie, »man verlässt doch seine Arbeit nach zwanzig Jahren
nicht so mir nichts dir nichts.«
    Er sah nach unten, draußen steckten
die Nähmädchen die Köpfe zusammen und tuschelten. Gertrud Meier,
die schon seit zehn Jahren in der Kürschnerei arbeitete, sah
herüber, und Anna hatte das Gefühl, als wüssten alle mehr als
sie.
    »Ich kann gehen, wohin ich will«,
stieß Elias schließlich kaum hörbar hervor, »jeder braucht ja mal
Tapetenwechsel. Außerdem bin ich ein freier Mensch, Fräulein
Salander.«
    Anna wurde blass, damit hatte sie
nicht gerechnet. Fräulein Salander, das war ein regelrechter
Affront. Aber warum, um alles in der Welt? Selbst wenn Pekka ihn
verletzt hatte, warum dehnte er seine Ablehnung auf sie
aus?
    »Onkel Eli, warum sagst du das? Ich
bin doch Anna, deine alte Anna. Was ist denn nur
passiert?«
    Er sah sie nicht an und räumte auf
dem Schreibtisch herum.
    Annas
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