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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin
Autoren: Günter Grass
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Weil aber die Steuermännin nur inwendig lächelt und ihrem Wesen nach bitter bleibt, verknappt Damroka diese Geschichte und läßt den ersten ihrer elf Pfaffen, nach plötzlichem Sturz von der Orgelempore, ableben: »Da waren es nur noch zehn...«
Nein, sagt die Rättin, von der mir träumt, solche Vertällchens haben wir satt. Das war einmal und war einmal. Was schwarz auf weiß alles geschrieben steht. Klugscheißerei und Kirchenlatein. Unsereins ist fett davon, hat sich durchgefressen bis zur Gelehrsamkeit. Diese stockfleckigen Pergamente, gelederten Folianten, mit Zetteln gespickten Gesamtausgaben und oberschlauen Enzyklopädien. Von d'Alembert bis Diderot, es ist uns alles bekannt: die heilige Aufklärung und der Erkenntnisekel danach. Jede Ausscheidung menschlicher Vernunft.
Noch früher, zu Augustinus´ Zeiten schon, waren wir überfressen. Von Sankt Gallen bis Uppsala: keines Klosters Bibliothek, die uns nicht wissender machte. Was immer das Wort Leseratte gemeint haben mag, wir sind belesen, uns haben in Hungerzeiten Zitate gemästet, wir kennen durchweg die schöne und die sachliche Literatur, uns sättigten Vorsokratiker und Sophisten. Scholastiker satt! Ihre Schachtelsätze, die wir kürzten und kürzten, waren uns allzeit bekömmlich. Fußnoten, welch köstliches Zubrot! Von Anbeginn aufgeklärt, waren uns Abhandlungen und Traktate, Exkurse und Thesen neunmalklug kurzweilig.
Ach, euer Denkschweiß und Tintenfluß! Wieviel Papier wurde geschwärzt, die Erziehung des Menschengeschlechts zu fördern! Streitschriften und Manifeste. Wörter geheckt und Silben gestochen. Versfuß gezählt und Sinn ausgelegt. So viel Besserwissen. Nichts war den Menschen zweifelsfrei. Jedem Wort sieben dagegengesetzt. Ihr Streit, ob die Erde rund und Brot wirklich des Herrn Leib sei, von allen Kanzeln herab. Besonders liebten wir ihren theologischen Hader. Man konnte die Bibel ja in der Tat so oder so lesen.
Und es erzählte die Rättin, die nichts von Damroka und ihren Pfaffen hören wollte, was ihr aus glaubenseifrigen Zeiten, vor und nach Luther, erinnerlich war: Mönchsgezänk und Theologenzwist. Und immer ging es um das wahre Wort. Natürlich war bald und schon wieder von Noah die Rede; sie schob mir die Arche dreistöckig, wie Gott sie gefordert hatte, in meinen Traum.
Ja! rief sie, er hätte uns aufnehmen müssen in seinen Kasten aus Tannenholz. Im ersten Buch Moses stand nichts geschrieben von: Ratten raus! Es durfte sogar die Schlange, von der gedruckt zu lesen stand, sie sei verflucht fur allem Vieh und fur allen Thieren auff dem felde, als Paar Schlange und Schlänglin in den hölzernen Kasten. Warum wir nicht? Beschiß war das! Wir legten Einspruch ein, immer wieder.
Worauf ich auf traumgerecht fließenden Bildern ansehen mußte, wie Noah sieben Paare vom reinen Vieh, je ein Paar vom unreinen Getier über eine Rampe in die mehrstöckige Arche führen ließ. Wie ein Zirkusdirektor genoß er seine Menagerie. Keine Art fehlte. Alles stampfte, trabte, hüpfte, tippelte, huschte, kroch, flatterte, schlich, ringelte sich hinein, der Regenwurm und seine Würmin nicht vergessen. Paarweise nahmen Zuflucht; Kamel und Elefant, Tiger und Gazelle, der Storch und die Eule, die Ameise und die Schnecke. Und paarweis nach Hunden und Katzen, Füchsen und Bären die Vielzahl der Nager: Siebenschläfer und Mäuse, jadoch, die Wald-, Feld-, Wüstenund Springmäuse. Doch immer, wenn sich Ratz und Rättlin einreihen wollten, um gleichfalls Zuflucht zu suchen, hieß es: Raus! Weg hier! Verboten! Das rief nicht Noah. Der führte stumm und verkniffen unterm Kastentor seine Strichliste: Tontafeln, in die er Zeichen kerbte. Das riefen seine Söhne Sem, Ham und Japheth, drei massige Kerle, denen später, laut Weisung von oben, aufgetragen wurde: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet die Erde. Die schrien: Haut endlich ab! Oder: Für Ratten Zutritt verboten! Die machten wahr ihres Vaters Wort. Jämmerlich war anzusehen, wie das biblische Rattenpaar aus dem Zottelfell langwolliger Schafe, unterm tiefhängenden Bauch des Flußpferdes mit Stöcken aufgestöbert, von der Rampe geprügelt wurde. Von Affen und Schweinen verspottet, gaben sie schließlich auf.
Und hätte nicht, sagte die Rättin, während die Arche sich zusehends füllte, Gottes Hand uns aufgehoben, nein, noch sicherer: hätten wir uns nicht eingegraben, unsere Tiefgänge gepfropft und die Nistkammern zu rettenden Luftblasen gemacht es gäbe uns heute nicht. Nennenswert wäre
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