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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin
Autoren: Günter Grass
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geschenkten Jungtieres, das einem Schlangenzüchter abgekauft wurde, der, in Gießen ansässig, Ratten als Schlangenfraß züchtet.
Gewiß überraschten auch andere Gaben: Nützliches, Über flüssiges links rechts beigeordnet. Es fällt ja immer schwerer zu schenken. Wo ist noch übriger Platz? Oh, dieses Elend, nicht mehr zu wissen, was wünschen. Alles ist in Erfüllung gegangen. Was fehlt, sagen wir, ist der Mangel, als wollten wir den uns zum Wunsch machen. Und schenken weiterhin ohne Erbarmen. Niemand weiß mehr, was wann von wem wohlwollend über ihn kam. Satt und bedürftig hieß mein Zustand, als ich mir, nach Wünschen befragt, auf Weihnachten eine Ratte wünschte.
Natürlich wurde gespottet. Fragen blieben nicht aus: In deinem Alter? Muß das sein? Nur weil die Mode sind jetzt? Warum keine Krähe? Oder wie letztes Jahr: mundgeblasene Gläser? Nagut, gewünscht ist gewünscht.
Eine weibliche sollte es sein. Doch bitte keine weiße mit roten Augen, keine Laborratte bitte, wie sie bei Schering und BayerLeverkusen in Gebrauch sind.
Aber wird die graubraune Wanderratte, vulgär Kanalratte genannt, auf Lager und käuflich sein?
In Tierhandlungen werden gewöhnlich nur Nager geführt, denen kein Ruf anhängt, die nicht sprichwörtlich sind, über die nichts Schlimmes geschrieben steht.
Erst kurz vor dem Vierten Advent soll Nachricht aus Gießen gekommen sein. Der Sohn einer Tierhändlerin mit üblichem Angebot, der ohnehin über Itzehoe in Richtung Norden zu seiner Verlobten fuhr, war gefällig und brachte ein Exemplar wie gewünscht; der Käfig konnte getrost der eines Goldhamsters sein.
Dabei hatte ich meinen Wunsch annähernd vergessen, als mich am Heiligen Abend die weibliche Ratte in ihrem Käfig überraschte. Ich sprach sie an, töricht. Später lagen geschenkte Schallplatten auf. Ein Rasierpinsel wurde belacht. Bücher genug, darunter eines über die Insel Usedom. Die Kinder zufrieden. Nüsseknacken, Geschenkpapier falten. Scharlachrote und zinkgrüne Bänder, deren Enden gezwirbelt sein müssen, wollten zur Wiederverwendung nur nichts wegwerfen! aufgewickelt verwahrt werden.
Gefütterte Hausschuhe. Und das noch und das. Und ein Geschenk, das ich für meine Liebste, die mich mit der Ratte beschenkte, in Seidenpapier gerollt hatte: auf handkolorierter Landkarte liegt der pommerschen Küste vorgelagert, Vineta, die versunkene Stadt. Trotz Stockflecken und seitlichem Riß: ein schöner Stich.
Niederbrennende Kerzen, der geballte Familienverband, die schwer erträgliche Stimmung, das Festessen. Tags darauf nannten erste Besucher die Ratte süß.
Meine Weihnachtsratte. Wie anders soll ich sie nennen. Mit ihren rosa Zehen, die feingegliedert den Nußkern, die Mandel oder gepreßtes Spezialfutter halten. Anfangs ängstlich auf meine Fingerkuppen bedacht, beginne ich sie zu verwöhnen: mit Rosinen, Käsebröcklein, dem Gelben vom Ei.
Sie mir danebengesetzt. Ihre Witterhaare nehmen mich wahr. Sie spielt mit meinen Ängsten, die ihr handlich sind. Also rede ich gegenan. Vorerst noch Pläne, in denen Ratten ausgespart bleiben, als könnte zukünftig irgendwas ohne sie sich ereignen, als dürfte, sobald die See kleine Wellen wagt, der Wald an den Menschen stirbt oder womöglich ein Männlein bucklicht sich auf die Reise macht, die Rättin abwesend sein.
Neuerdings träumt sie mir: Schulkram, des Fleisches Ungenügen, was alles der Schlaf unterschiebt, in welche Geschehnisse ich hellwach vermengt werde; meine Tagträume, meine Nachtträume sind ihr abgestecktes Revier. Keine Wirrnis, der sie nicht nacktschwänzig Gestalt gäbe. Überall hat sie Duftmarken gesetzt. Was ich vorschiebe schranktiefe Lügen und Doppelböden -, sie frißt sich durch. Ihr Nagen ohne Unterlaß, ihr Besserwissen. Nicht mehr ich rede, sie spricht auf mich ein.
Schluß! sagt sie. Euch gab es mal. Gewesen seid ihr, erinnert als Wahn. Nie wieder werdet ihr Daten setzen. Alle Perspektiven gelöscht. Ausgeschissen habt ihr. Und zwar restlos. Wurde auch Zeit!
In Zukunft nur Ratten noch. Anfangs wenige, weil ja fast alles Leben ein Ende fand, doch schon vermehrt sich die Rättin erzählend, indem sie von unserem Ausgang berichtet. Mal fistelt sie bedauernd, als wolle sie jüngste Würfe lehren, uns nachzutrauern, mal höhnt ihr Rattenwelsch, als wirke Haß auf unsereins nach: Weg seid ihr, weg!
Doch ich halte gegen: Nein, Rättin, nein! Immer noch sind wir zahlreich. Pünktlich geben Nachrichten von unseren Taten Bericht. Wir tüfteln Pläne aus, die
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