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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin
Autoren: Günter Grass
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Erfolg versprechen. Zumindest mittelfristig sind wir noch da. Selbst jenes bucklichte Männlein, das abermals dreinreden will, sagte noch kürzlich, als ich treppab in den Keller wollte, um nach den Winteräpfeln zu sehen: Mag sein, daß es zu Ende geht mit den Menschen, doch letztlich bestimmen wir, wann Ladenschluß ist. Rattengeschichten! Wie viele sie weiß. Nicht nur in wärmeren Zonen, sogar in den Iglus der Eskimos soll es sie geben. Mit den Verbannten gelang es Ratten, Sibirien zu besiedeln. Polarforschern gesellig, haben Schiffsratten die Arktis und Antarktis entdeckt. Keine Einöde war ihnen unwirtlich genug. Hinter Karawanen zogen sie durch die Wüste Gobi. Frommen Pilgern im Gefolge waren sie nach Mekka und Jerusalem unterwegs. Mit den wandernden Völkern des Menschengeschlechts sah man dicht bei dicht Ratten wandern. Sie sind mit den Goten ans Schwarze Meer, mit Alexander gen Indien, mit Hannibal über die Alpen, anhänglich den Wandalen nach Rom gezogen. Hinter Napoleons Heerhaufen nach Moskau hin und zurück. Auch mit Mose und dem Volk Israel liefen trockenen Fußes Ratten durchs Rote Meer, um in der Wüste Zin vom himmlischen Manna zu kosten; es gab von Anbeginn Abfall genug. So viel weiß meine Rättin. Sie ruft, daß es hallt: Am Anfang war das Verbot! Denn als der Menschen Gott polterte: Ich will eine Sintflut mit Wasser kommen lassen auf Erden, zu verderben alles Fleisch, darin ein lebendiger Odem ist, durften wir ausdrücklich nicht an Bord. Für uns kein Zutritt, als Noah seine Arche zum Zoo machte, obgleich sein immerfort strafender Gott, vor dem er Gnade gefunden hatte, von oben herab deutlich geworden war: Aus allerley reinem Vieh nimm zu dir je sieben und sieben, das Menlin und sein Frewlin. Von dem unreinen Vieh aber je ein Par, das Menlin und sein Frewlin, denn wil ich regnen lassen auff Erden vierzig tag und vierzig nacht und vertilgen von dem Erdboden alles, was das Wesen hat, das ich gemacht habe. Mich reuet mein tun.
Und Noah tat, was sein Gott ihm befohlen, und nahm von den Vögeln nach ihrer Art, von dem Vieh nach seiner Art und von allerley Gewürm auff erden nach seiner Art; nur von unsereins Wesen wollte er kein Paar, nicht Ratz und Rättlin, in seinen Kasten nehmen. Rein oder unrein, wir waren ihm weder noch. So früh war das Vorurteil eingefleischt. Von Anbeginn Haß und der Wunsch, vertilgt zu sehen, was würgt und Brechreiz macht. Dem Menschen eingeborener Ekel vor unserer Art hinderte Noah, nach seines strengen Gottes Wort zu handeln. Er verneinte uns, strich uns aus seiner Liste, die alles nannte, was Atem hat.
Küchenschaben und Kreuzspinnen, den sich krümmenden Wurm, die Laus sogar und die warzige Kröte, schillernde Schmeißfliegen nahm er, ein Paar, an Bord seiner Arche, uns aber nicht. Wir sollten draufgehen wie der verderbten Menschheit zahlreicher Rest, von dem der Allmächtige, dieser immerfort rachsüchtige und den eigenen Pfusch verfluchende Gott, abschließend gesagt hatte: Des Menschen Bosheit war gros auff Erden und ihrer Hertzen Tichten und Trachten war böse imer dar.
Worauf er Regen machte, der vierzig Tage und Nächte fiel, bis alles mit Wasser bedeckt war, das einzig die Arche und deren Inhalt trug. Als aber die Wasser fielen und erste Bergspitzen aus der Flut tauchten, kam nach dem Raben, der ausgesetzt wurde, die Taube zurück, von der es hieß: Sie kam zu ihm umb die Vesperzeit und sihe, ein Oelblatt hatte sie abgebrochen und trugs in ihrem Munde. Doch nicht nur mit Grünzeug, mit verblüffender Botschaft auch flog die Taube Noah zu: Sie habe, wo sonst nichts mehr kreuche und fleuche, Rattenköttel, frische Rattenköttel gesehen.
Da lachte der seiner Stümperei überdrüssige Gott, weil Noahs Ungehorsam an unsrer Zählebigkeit zunichte geworden war. Er sagte wie immer von oben herab: Fortan sollen Ratz und Rättlin auff Erden des Menschen gesell und zuträger aller verheißenen Plage seyn...
Er sagte noch mehr voraus, was nicht geschrieben steht, trug uns die Pest auf und schwindelte sich, nach Art des Allmächtigen, weitere Allmacht zusammen. Er persönlich habe uns der Sintflut enthoben. Auf seiner Gotteshand sei von unreiner Art ein Paar sicher gewesen. Auf göttlicher Hand habe Noahs ausgesetzte Taube frische Rattenköttel gesehen. Seiner Pranke verdanke sich unser zahlreiches Fortleben, denn auf Gottes Handteller hätten wir Junge, neun Stück, geworfen, worauf sich der Wurf, während das Gewesser hundert und fuffzig tage auff Erden stund, zu einem
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