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Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Titel: Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie
Autoren: dtv
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zurück, machte ihm einen Teller Pfannkuchen und bestrich sie mit Sirup.Ich fügte einen Apfel hinzu, mehr wagte ich nicht zu nehmen, weil ich fürchtete, Tante Carmen würde merken, dass etwas fehlte. Ich reichte ihm den Teller durch das Fenster hinaus. Als ich mich für eine Sekunde umdrehte, war Mr Applegates Teller leer und er bedankte sich. Nach weiteren fünf Minuten waren meine Hausaufgaben fix und fertig.
    »Ich werde dir erklären, wie es geht«, sagte Mr Applegate. »Es ist nicht gut, nur die richtigen Antworten zu haben. Du musst wissen, wie man sie bekommt. Dann werden wir zusammen ein Gedicht lesen.«
    Langsam ging mir ein Licht auf, als mir Mr Applegate Schritt für Schritt erklärte, wie man die Aufgaben löste. Zweifellos war er ein besserer Lehrer als Mrs Olderby. Ich war noch nie auf den Gedanken gekommen, dass ein Lehrer besser sein könnte als ein anderer. Lehrer waren einfach da. Man bekam sie, einen nach dem anderen, so wie man Schuhe bekam.
    Nach den Matheaufgaben schlug Mr Applegate das Buch der Gedichte für besinnliche Stunden auf . Wir lasen die bewegende Ballade »Casabianca«, von dem Jungen Casabianca, der in der Schlacht aufseinem Posten ausharrt und sich weigert, das Schiff ohne Weisung seines Dads, des Kapitäns, zu verlassen. »Der Junge stand auf dem brennenden Deck …« Tränen traten mir in die Augen, als der Vater und dann der heldenmütige Sohn auf dem brennenden Schiff den Tod fanden. Mr Applegate reichte mir ein Taschentuch.
    In der ersten Woche blieb Mr Applegate draußen im Freien. Er löste alle Probleme von fern. Aber als es regnete, konnte ich es nicht ertragen, ihn tropfnass zu sehen. Ich bat ihn, unter das Vordach zu kommen und sich zu mir auf die Veranda zu setzen. Ich zeigte ihm meine Postkarten von Dad. Er zeigte mir, wie er Rechenaufgaben im Kopf löste.
    »Du kannst es üben, Oscar«, versicherte er mir. »Verwende einfach nur deine Handfläche statt Papier. Auf diese Weise fühlst du die Ziffern, wenn du sie mit dem Fingernagel schreibst, aber du kannst sie nicht sehen. Das hilft dir, dich zu konzentrieren. Wenn du das ein paar Wochen lang machst, wirst du anfangen, die Aufgaben in deinem Kopf zu lösen, genau wie ich!«
    Jeden Nachmittag würzten wir die Mathematik für das Kind von heute mit den Gedichten für besinnlicheStunden. Eines Nachmittags suchte Mr Applegate ein Gedicht mit dem Titel »Oh Kapitän! Mein Kapitän!« aus.
    »Darin kommt schon wieder ein toter Vater vor!«, beklagte ich mich mit bebenden Lippen. »Diesmal liegt er kalt und tot auf dem Deck!«
    »Nächstes Mal werden wir ein erhebenderes Gedicht lesen«, sagte Mr Applegate.
    »Ich will kein erhebendes Gedicht!«, rief ich flehend, als ich ihm seinen Teller Pfannkuchen servierte. »Ich möchte mich in einen Pfeil verwandeln und dorthin fliegen, wann ich meinen Dad wiedersehe.«
    Mr Applegates Kinnlade fiel herunter. »Also, das ist sehr interessant, Oscar«, sagte er und ließ dabei seine Gabel mit einem Stück Pfannkuchen auf dem Weg zum Mund über seinem Teller schweben.
    »Was ist interessant?«, fragte ich.
    »Nun ja, die meisten Leute würden sagen, ich möchte dorthin fliegen, wo , nicht wann . Dorthin fliegen, wann ist eine sehr komplizierte mathematische Theorie, die nur eine Handvoll Menschen auf der Erde vielleicht wirklich versteht. Es ist die von Professor Einstein begründete Theorie, dass Zeit und Ort eins sind, nicht zwei verschiedene Dinge.Er glaubt, die Zeit ist wie ein Fluss. An den Ufern des Flusses sind alle Zeiten zugleich gegenwärtig. An irgendeiner Stelle des Flusses geschieht alles Zukünftige und alles Vergangene genau jetzt. Wenn wir stark genug und schnell genug wären, um die Strömung zu überwinden und gegen den Strom zu schwimmen, könnten wir den Lauf der Geschichte umkehren. Wir könnten die Schlacht von Gettysburg miterleben und Mr Lincoln im Weißen Haus besuchen.«
    »Wirklich?«, fragte ich. »Dann könnten wir Präsident Lincoln davor warnen, jemals wieder ins Theater zu gehen!«
    »Ja, das könnten wir, aber wenn wir das täten, würde sich alles, was danach stattgefunden hat, ebenfalls ändern. Wer weiß, Oscar? Ein neues Rad der Geschichte käme ins Rollen, als würden eine Milliarde Zahnräder in das Getriebe eingreifen. Herbert Hoover wäre heute vielleicht nicht Präsident, wenn Lincoln nicht ermordet worden wäre. Andererseits wären du und ich vielleicht nie geboren worden. Es wäre dumm, in der Zeit zurückzureisen, um Dinge zu ändern. Ganz
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