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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
Autoren: Jay Lake
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»Grundgütiger! Solch eine Verantwortung! Woher wusstest du denn, dass es der Erzengel Gabriel war?«
    Hethor war erleichtert, dass sie nicht lachte oder ihn für verrückt erklärte. »Er hat es mir gesagt.« Er wies mit einem Kopfnicken auf den Kupferstich. »Ich habe diesen Engel gesehen.«
    Bibliothekarin Childress zog sich das Buch mit den italienischen Künstlern heran und blätterte es durch. »Es gibt noch mehr Darstellungen von Gabriel. Schauen wir uns noch ein paar an.« Sie überflog weitere Seiten; dann blickte sie zu Hethor auf. »Ich glaube dir deine Geschichte, aber deine Erinnerungen könnten dich trügen. Möglicherweise entsprechen sie nicht der Wahrheit. Der Schlüssel der Ewigen Bedrohung ist eine Legende, und zwar in mehrerer Hinsicht.«
    »Nein, es ist die Wahrheit«, sagte Hethor. »Was geschehen ist, meine ich. Gabriel hat mir eine silberne Feder überreicht.«
    »Wo ist diese Feder jetzt?«
    »Pryce Bodean hat sie mir abgenommen. Er sagte, ich hätte es nicht verdient, sie zu besitzen, und hat mich praktisch beschuldigt, sie gestohlen zu haben.«
    Bibliothekarin Childress schaute ausgiebig auf Hethors Stiefel hinunter, und die Bedeutung ihres Blickes war kaum misszuverstehen. »Niemand würde ihm einen Vorwurf machen, wenn er sich fragt, warum ein Lehrling Silber bei sich trägt – vor allem, wenn man ein Rationalhumanist wie Mister Bodean ist. Bei seiner Suche nach einer schonungslosen Wahrheit entgeht ihm nicht viel.«
    »Was soll ich denn jetzt machen? Ich muss mir doch über meine Aufgabe im Klaren sein.«
    »Wenn das alles stimmt, brauchst du Hilfe.« Bibliothekarin Childress hielt inne und betrachtete Hethor nachdenklich, während ihre Hand auf dem Buch über italienische Künstler lag. Sie wirkte wie ein Gemüsehändler, der dem Gewicht der letzten Fuhre Kohl misstraut. »Aber wenn es nicht stimmt, was du sagst, oder wenn du nur ein Dummkopf bist, der sich ein Fieber eingefangen hat, oder ein Narr mit lebhafter Phantasie, wäre ich verrückt, dir meine Hilfe anzubieten.«
    Hethor war sich irgendwie sicher, dass die Frau etwas wusste. Dass sie wusste, was er zu tun hatte. Wie konnte er sie davon überzeugen, dass es der Wahrheit entsprach, was er erlebt hatte?
    Die Narbe. Natürlich. Er öffnete die rechte Hand und hielt sie ihr hin. »Diese Narbe stammt von der Feder. Ihre Kanten waren messerscharf.«
    Bibliothekarin Childress ergriff Hethors Hand an den Fingern und betrachtete die Narbe. »Sie ist alt und hat die Form eines Schlüssels.«
    »Sie ist über Nacht verheilt. Und warum sie die Form eines Schlüssels angenommen hat, weiß ich nicht.« Hethor kam sich wie ein Narr vor, versuchte es aber weiterhin. »Es ist ein Zeichen, Madam. Ein Wunder, das ich verstehen muss.«
    »Vielleicht ist es eine Erinnerung?« Sie lächelte ihn an, und zum ersten Mal wirkte ihr Lächeln aufrichtig. »Hör zu, mein Junge. Der Vizekönig Ihrer Majestät in Boston hat einen Hofmystiker, ein Mann namens William of Ghent, der sich selbst als Hexenmeister bezeichnet. Es besteht die Möglichkeit, dass du ihn von der Wahrhaftigkeit deiner Erscheinung überzeugen kannst. Wenn William dir glaubt, werden der Vizekönig und sein Hofstaat dir vielleicht helfen oder dir zumindest Rat erteilen.«
    Hethor entzog ihr seine Hand und ballte sie zur Faust. »Glauben Sie mir?«
    »Ich glaube, dass du die Wahrheit sprichst, so wie du sie siehst«, antwortete Bibliothekarin Childress vorsichtig.
    »Aber Sie wollen die Silberfeder sehen. Als Beweis.«
    Sie nickte. »Als Beweis. Auch William wird das wollen. Wenn er die Feder nicht untersuchen oder analysieren kann, ist deine Narbe zwar interessant, aber mehr auch nicht.«
    »Ich weiß nicht, wie ich die Feder von Pryce Bodean zurückholen soll.«
    »Ich aber.« Bibliothekarin Childress lächelte. »Überlass das mir.«
***
    Als Hethor mit Childress im Belegschaftsraum der Bibliothek der theologischen Fakultät eine leichte mittägliche Mahlzeit zu sich nahm – Gurken-Sandwiches und Tee –, wurde ihm klar, dass er unwiderruflich einen ganzen Tag an der Lateinschule in New Haven verloren hatte. Aber es machte ihm gar nicht so viel aus: Gabriels Nachricht schien ihm mit jeder Stunde wirklicher zu werden, obwohl er nicht einmal mehr die Feder besaß. Vielleicht aber war genau das der Grund dafür, denn Hethor wurde sich bewusst, dass sein Glaube allein hätte ausreichen sollen – und nun schämte er sich dafür, um ein Zeichen gebeten zu haben.
    »Wie kommt es«, fragte
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