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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
Autoren: Jay Lake
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war.
    »Nein. Weil ich dann behaupten kann, noch nie von dir gehört zu haben. Du ziehst Ärger geradezu magisch an, nicht wahr?«
    Sie betraten einen Raum, in dem hohe Bücherregale standen. Am anderen Ende schien das Tageslicht durch drei Fenster. Es roch nach Staub, Papier und Leder – nach Wissen und Studium.
    »Nein!«, rief Hethor aus. »Ich meine ... vielleicht. Jetzt. Aber das passiert mir zum ersten Mal.«
    Childress lachte. Ihre ernste Stimme klang auf einmal so hell und munter wie ein Bach, der sich seinen Weg durch die Dickichte von Hethors Kindheit bahnte. »Ein Junge auf der Schwelle zum Mannesalter? Du hast noch nie Ärger gehabt? Anscheinend hast du ein sehr behütetes Leben geführt, mein junger Lehrling.«
    In diesem Augenblick kam Hethor zu dem Schluss, dass diese Frau wirklich seine Freundin war. Zumindest könnte sie es sein. »Vielleicht, Madam.«
    Sie standen vor einem riesigen Tisch, der mit einer Glasplatte abgedeckt war und unter dem sich vergilbte Karten befanden; sie wirkten fast wie uralte Schmetterlinge aus exotischen Ländern. Bibliothekarin Childress klopfte leicht auf die Tischplatte. »Bitte, warte hier.«
    Hethor beobachtete, wie sie verschwand. Ihre Lederstiefelabsätze pochten auf dem Marmorboden. Hethor stand einfach da – fünf, dann zehn Minuten –, bis er sich fragte, ob sie zum Bibliothekspförtner oder, noch schlimmer, zur Polizei von New Haven gegangen war. Oder hatte sie ihn einfach nur vergessen? Hatte sie ihn allein gelassen? Nein, sicher nicht. Ihrer raschen Auffassungsgabe und kritischen Art zum Trotz hatte sie ihn mit mehr Würde behandelt, als Pryce Bodean es jemals getan hatte.
    Dann kam Bibliothekarin Childress zurück, wobei sie einen kleinen Wagen vor sich her schob, auf dem mehrere große, in Leder verschiedener Farben gebundene Bände lagen.
    »Kunst«, stellte sie fest, »die so rechtschaffen ist, dass sie zwischen Buchdeckel gepresst und vor den Menschen draußen verborgen werden muss.«
    Das erste Buch knallte mit einem dumpfen Laut auf den Tisch. Hethor las den Titel, Religiöse Bilder dieses Englischen Jahrhunderts , bevor Bibliothekarin Childress den Band aufschlug.
    »Schau sie dir an«, sagte sie und griff nach dem nächsten Buch. »Du kannst doch lesen? Diese Schulbücher gehören doch nicht etwa jemand anderem, und du trägst sie nur zur Tarnung?«
    »Oh, ich kann lesen, Madam. Englisch, Latein und ein wenig Französisch. Ein paar chinesische Zeichen kann ich auch entziffern.«
    »Alle bedeutenden Sprachen der Nördlichen Hemisphäre. Ein wirklich fleißiger Lehrling.« Hethor hatte den Eindruck, dass Bibliothekarin Childress sein Wissen aufrichtig zu schätzen wusste. Das nächste Buch landete mit einem weiteren dumpfen Knall neben ihm. »Und hier sind die Italiener.«
    Hethor begann das erste Buch durchzublättern, die englischen Maler. Es war voller Gemälde, die Menschen, Tiere und Engel zeigten, die meisten als Kupferstiche, von denen einige mit verschiedenen Farben nachkoloriert worden waren, um die ursprünglichen, in Öl oder Wasserfarbe gemalten Bilder nachzuahmen.
    »Das ist er!«, rief Hethor unvermittelt aus und zeigte auf das Bild eines Engels, der sich über einen Rosenbusch beugte, um mit der Jungfrau Maria zu reden. Im Hintergrund zeichneten sich die Messingschienen der Erde deutlich vor einem blauen Himmel ab.
    »Pssst«, machte Bibliothekarin Childress. »Das hier ist eine Bibliothek. Was schaust du dir an?«
    »Dante Gabriel Rossetti.« Selbst der Name war offenbar von Bedeutung, auch wenn er in einem Buch über englische Maler fehl am Platze zu sein schien. »Dieser Engel ...«
    »Erzengel. Was ist mit ihm?« Ihre Stimme klang freundlich.
    Hethor hatte Pryce das Geheimnis bereits verraten. Es machte wenig Sinn, es nun vor Bibliothekarin Childress geheim zu halten, zumal sie vielleicht genügend wusste, um ihm weiterzuhelfen. »Gabriel ist mir erschienen«, lautete seine klägliche Antwort. »Letzte Nacht.«
    Sie hob ihre Hand, um seine Wange zu streicheln. »Du armer, armer Junge. Was, in der Nördlichen Hemisphäre, wollte er von dir?«
    Sie stellte die Frage auf eine Art, die Hethor jede Verschwiegenheit vergessen ließ. »Den Schlüssel der Ewigen Bedrohung«, antwortete er. »Ich soll den Schlüssel der Ewigen Bedrohung finden! Die Uhr der Welt geht falsch, und ich wurde auserwählt, das in Ordnung zu bringen.« Ihm blieb fast der Atem weg.
    Bibliothekarin Childress schlug die Hand auf den Mund und sah ihn erschrocken an.
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