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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai
Autoren: Laura Joh Rowland
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ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Als Nonne verkleidet, hatte sie sich auf den Weg in die Provinz Iga gemacht, lebte von den Almosen Fremder und ernährte sich von Wurzeln und Nüssen. Und wenn sie auch versucht hatte, Sano von jeder Schuld freizusprechen, so wußte er doch, daß er den letzten Anstoß für ihre Flucht gegeben hatte.
    Sano hatte Leben gerettet, indem er Chūgos Morden ein Ende bereitete, doch er hatte auch jene Frau in Gefahr gebracht, die er liebte, denn er hatte ihre Zuneigung gewonnen und sie dadurch ihre Pflicht vergessen lassen. Die Schuldgefühle machten Sanos Trauer noch tiefer und bitterer. Zwar waren die Ninja für ihre Kampf- und Überlebenskünste berühmt, doch Sano stellte sich vor, wie Aoi gefangen, gefoltert und hingerichtet wurde. Und er konnte nichts tun, um dies zu verhindern. Er konnte ihr nicht einmal für ihre Hilfe danken, ohne die sein Erfolg nicht möglich gewesen wäre, oder dafür, daß sie ihm das Leben gerettet hatte, indem sie das eigene Leben aufs Spiel setzte.
    Plötzlich stockte Sano der Atem. Aois Schriftzeichen verblaßten und verschwanden dann völlig. Sie waren mit der geheimnisvollen Tusche der Ninja geschrieben, und nun verflüchtigten sie sich spurlos … Bald hielt Sano nur noch ein leeres Stück Papier in der Hand.
    So leer wie das Leben ohne Aoi.
    Und nun, als der Shōgun Sanos Tat pries, sah er sich der schwierigsten Aufgabe von allen gegenüber: auf seinem Posten zu bleiben, statt dem Ruf seines Herzens zu folgen und die Frau zu suchen, die er liebte. Sano verspürte das heftige Verlangen, aus dem Saal zu stürmen, sich auf sein Pferd zu schwingen, hinaus in die Nacht zu galoppieren und Aois Namen zu rufen. Er wollte jede Straße, jedes Dorf, jeden Wald und jedes Feld zwischen Edo und der Provinz Iga absuchen, bis er Aoi gefunden hatte. Doch ihre Wünsche und seine Pflichten ließen das nicht zu.
    Von Bitterkeit erfüllt, schaute Sano sich um, nun aller Illusionen beraubt. Der Palast war ein luxuriöses Gefängnis. Der Shōgun, für den er beinahe sein Leben geopfert hätte und der nun betrunken auf seinem Podest saß und mit schwerer Zunge schwafelte, war bloß eine Marionette des Kammerherrn. Der bushidō war grausam, und ein Ehrenplatz in der Geschichte war ein Preis ohne Wert. Der Schmerz hatte Sano erkennen lassen, daß Doktor Ito mit dieser Bemerkung recht gehabt hatte.
    Die hohe, trunkene Stimme des Shōgun drang in Sanos Gedanken. »Aaah, ja! Laßt uns auch die Verlobung sōsakan Sanos mit der Tochter des Magistraten Ueda feiern!«
    Alle Versammelten jubelten, mit Ausnahme von Kammerherr Yanagisawa, der die Lippen zusammenpreßte und Sano aus schmalen Augen anstarrte. Sano nickte Magistrat Ueda hölzern zu, der diese Geste ebenso steif erwiderte. Sanos Ruhm und die wiedererlangte Gunst des Shōgun hatten Ueda dazu bewegt, Sano die Hand Reikos zu gewähren. Obgleich es Sano mit Stolz erfüllte, dem Wunsch seines Vater entsprochen zu haben, eine Frau aus bester Familie zu heiraten und eine verwandtschaftliche Verbindung mit einem Mann einzugehen, den er achtete – Sano hätte diese Verbindung frohen Herzens aufgegeben, hätte er dafür einen kurzen Augenblick mit Aoi verbringen und noch einmal das unbeschreibliche Gefühl des ishin-denshin verspüren dürfen – dieses wundervolle, stumme Zwiegespräch zweier Seelen.
    Der Shōgun ließ sich darüber aus, wie gut das Paar gesellschaftlich zusammenpaßte, und bat die Götter um ihren Segen für die Ehe. Dann sagte er: »Jetzt aber genug der Reden.« Er lachte und klatschte in die Hände. Die Musik setzte wieder ein. »Nun laßt uns feiern!«
    Sano nahm von einem Diener einen Krug Reiswein entgegen und erhob sich widerwillig, um jenem Gebot der Höflichkeit nachzukommen, dem er den ganzen Abend ausgewichen war. Er trat auf Kammerherr Yanagisawa zu, kniete vor ihm nieder, verbeugte sich in der Hüfte, hob den Krug und sagte: »Bitte erlaubt mir, Euch einzuschenken, ehrenwerter Kammerherr.«
    Das Ritual schrieb vor, daß der Kammerherr seine Schale hob und sich verbeugte. Yanagisawa kam diesem Gebot mit der ihm eigenen Anmut nach, doch seine Miene war steinern, und als Sano ihm den Reiswein einschenkte, zitterte Yanagisawas Hand so sehr, als hätte er Sano das Getränk am liebsten ins Gesicht geschüttet.
    »Ich werde nichts vergessen, sōsakan «, sagte er mit so leiser, frostiger Stimme, daß nur Sano ihn hören konnte. Yanagisawa leerte die Schale und verzog das Gesicht, als wäre ihm
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