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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai
Autoren: Laura Joh Rowland
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plötzlich übel geworden. Dann verbeugte er sich vor dem Shōgun, sagte: »Entschuldigt mich bitte, Hoheit«, und eilte aus dem Saal.
    Sano wußte, der Kammerherr würde ihm niemals verzeihen, daß er – wenngleich unbeabsichtigt – die schreckliche Entführung durch Chūgo erst möglich gemacht hatte. Und niemals würde Yanagisawa vergessen, daß er sich Sanos wegen zum Gespött gemacht hatte. Vor allem aber würde er Sano nie vergeben, daß dieser Zeuge seiner Demütigung geworden war und ihn gerettet hatte. Dadurch hatte Sano sich den Kammerherrn endgültig zum Todfeind gemacht. Von nun an würde Yanagisawa ihm Steine in den Weg legen, wann immer er konnte.
    Diesen Gedanken konnte Sano – wegen Aois Verschwinden ohnehin ein fast gebrochener Mann – kaum ertragen. Sein Rang als sōsakan war bedeutungslos für ihn geworden, ja, schlimmer noch: Er bedeutete eine Herausforderung, der Sano sich gar nicht mehr stellen wollte.
    Die Feier zog sich schier endlos dahin. Sano schmerzte das Gesicht vom gespielten Lächeln, und seine Kehle war rauh von der Anstrengung, als er sich zwang, höflich Konversation zu machen und Lachen vorzutäuschen. Nicht einmal der Reiswein konnte seine Gefühle betäuben. Nur als er sah, wie Hirata dem Shōgun voller Begeisterung die Sakeschale nachfüllte, verspürte er ein wenig Freude.
    Doch selbst einen Menschen glücklich zu sehen, den er schätzte, konnte den Schmerz in Sanos Inneren kaum lindern. Als die Morgendämmerung anbrach, schaffte er es einfach nicht mehr, Freude und Fröhlichkeit zu heucheln. Der Shōgun saß schnarchend auf dem Podium, und die wenigen Gäste, die noch nicht schliefen, lachten und grölten mit trunkenen Stimmen. Es würde niemandem auffallen, wenn Sano sich davonmachte. Er ging nach Hause, ließ sich sein Pferd bringen und ritt aus dem Palasttor. Wo war Aoi? Wenn er sie fand … Als Sano sich die unbändige Freude ausmalte, sie wiederzusehen, vergaß er alle Hindernisse, die zwischen ihnen standen, und alle Verbote, die sie trennten.
    Plötzlich drang ein Ruf durch die Stille des Sommermorgens. » Sōsakan-sama !«
    Sano drehte sich um und sah Hirata, der ihm über die Promenade hinterhergaloppierte. Sano kehrte aus seiner Traumwelt in die Wirklichkeit zurück. Er durfte seinen Posten nicht verlassen; er durfte Aoi nicht länger gefährden. Der Schmerz kehrte wieder und lag Sano drückend auf der Brust, und die Leere in seinem Inneren gähnte tiefer und schwärzer als zuvor.
    »Ist alles in Ordnung mit Euch?« fragte Hirata, als er zu Sano aufschloß. »Wohin wollt Ihr?«
    Sano ritt schneller, um Hirata hinter sich zu lassen. »Ich brauche nur ein bißchen frische Luft«, log er. »Ich wollte einen Ausritt machen … allein.«
    »Ich begleite Euch.« Offenbar spürte Hirata, daß irgend etwas nicht stimmte, auch wenn er nicht wußte, was es war. Nun aber war Hirata kein bloßer Helfer Sanos mehr, sondern sein Gefolgsmann, und aus Sorge um das Wohlergehen seines Herrn mißachtete er dessen Befehl und blieb an seiner Seite.
    Sano war zu müde und niedergeschlagen, um sich mit Hirata auf Diskussionen einzulassen. So ritten sie gemeinsam nach Norden aus der Stadt – dorthin, wo die Mordserie mit Chūgos Verhaftung geendet hatte, und wo sowohl die Feuersbrunst als auch die Unruhen in der Bevölkerung vom Unwetter erstickt worden waren. Als sie durch die stillen Straßen ritten, in denen allmählich das Leben erwachte, stellte Sano fest, daß in den verwüsteten Wohnvierteln bereits neue Häuser und Läden standen, als wäre der bundori- Mörder tatsächlich nur ein böser Geist gewesen.
    Im Tempelbezirk von Asakusa stieg Sano vor einem kleineren Tempel vom Pferd. »Warte hier«, sagte er zu Hirata.
    Er trat durch das Eingangstor, ging über einen kleinen Vorplatz und gelangte durch ein weiteres Tor auf den Friedhof. Die Kirschbäume trugen nun reife Früchte, und die Gehwege waren mit vertrockneten braunen Blüten gesprenkelt, die sich mit dem Kies auf den Wegen vermischten. Die Luft war erfüllt von den schweren, fruchtigen Düften des Sommers, doch es lag bereits ein Hauch von Verfall darin – die ersten Vorboten des Herbstes. Das Läuten der Tempelglocken, die Gesänge der Mönche und das Klacken der hölzernen Sandalen von Pilgern klangen gedämpft, wie aus der Ferne, an Sanos Ohren: ein Teil der lebendigen Welt, der den Friedhof, diese Mahnung an den Tod, umhüllte.
    Sano kniete vor einem kleinen Grabdenkmal nieder, einer viereckigen Steinsäule mit einem
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