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Die Rache Der Wanderhure

Die Rache Der Wanderhure

Titel: Die Rache Der Wanderhure
Autoren: Iny Lorentz
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zugriff, war gegenüber allen anderen im Vorteil. Sein scharfer Verstand in Verbindung mit ihrer raubtierhaften Kraft hätte Großes vollbringen können.
    Einige Augenblicke lang spürte Ruppertus das Feuer nicht mehr, das seine Beine hochzüngelte, sondern sah sich selbst in prachtvoller Kleidung mit Marie an seiner Seite auf König Sigismund zutreten und dessen engster Ratgeber werden.
    So schnell das Bild gekommen war, so rasch schwand es in dem Schmerz, der durch seinen Körper peitschte. Ruppertus riss die Augen auf und sah den Mann, der an Maries Seite getreten war und die Hand um ihre Schultern legte. Es war der Sohn des Schankwirts, jener Lümmel, der es gewagt hatte, seine Augen zu Marie zu erheben, und der sie nun auch bekommen hatte. Selbst der Gedanke, dass die Frau als Hure Dutzenden anderer Männer zu Willen hatte sein müssen, konnte Ruppertus’ Gefühl nicht vertreiben, gegen eine Kreatur aus der Gosse verloren zu haben.
    »Herrgott, warum hast du das zugelassen?«, schrie er und meinte damit nicht nur das Paar vor sich, sondern auch den Scheiterhaufen, auf dem er sich zur Belustigung der Konstanzer Bürger und der Konzilsgäste in Qualen wand.
    Das Feuer wurde heißer, und Ruppertus rang nach Luft. Er wusste, dass Rauch die Menschen betäubte, und sehnte diese Ohnmacht herbei, die ihm endlich den Schmerz nehmen würde, der immer heftiger durch seinen Körper raste. Er spürte deutlich, wie das Feuer seine Glieder verzehrte, und in seiner Not flehte er Gott an, ihm gnädiges Vergessen zu schenken.
    Gierig sog er den ätzenden Rauch in die Lunge und kämpfte gegen den Hustenreiz, der ihn würgte. Da traf ihn ein kalter Windstoß und blies den Rauch von ihm weg. Die Flammen zitterten einen Augenblick lang, flammten dann aber doppelt so heiß und sengend wieder auf. Der stärker werdende Wind trieb den Rauch gegen die Zuschauer, während Ruppertus entgegen seiner Hoffnung frische Luft einatmete. Offensichtlich wollte das Schicksal ihn die Qual bis zum letzten bitteren Tropfen auskosten lassen.
    Er suchte erneut nach Marie, ein dichter Schleier drohte sie seinem Blick zu entziehen. Andere Gaffer wichen bereits vor dem Rauch zurück, doch sie stand so regungslos in den Schwaden wie eine archaische Göttin. Auch der Wirtsbengel, den er unterschätzt und daher missachtet hatte, trotzte dem Rauch. Er hasste den Kerl so sehr, dass er sich wünschte, er könne seine Seele dem Teufel verschreiben, nur damit diese Gossenkreatur an seiner Stelle brannte.
    Doch im nächsten Moment verflogen der Hass und die Wut, die seinen Schmerz zeitweise betäubt hatten, und er kämpfte verzweifelt gegen seine Fesseln, um den schier unerträglichen Qualen zu entkommen. Doch die Flammen fraßen sich unerbittlich in seinen Leib.
    »Herrgott, mach ein Ende!«, schrie er und verfluchte im nächsten Augenblick Gott und die ganze Welt, weil man ihm dies antat.
    Marie achtete nicht auf den Rauch, der sie wie schwarzer Nebel umwaberte, sondern blickte unverwandt in die Flammen, die Ruppertus umgaben. Der Wind schürte das Feuer an wie ein Blasebalg und ließ die Holzscheite hell aufglühen. Nicht mehr lange, dachte sie, dann ist mein schlimmster Feind tot! Dann endlich würde es ihr möglich sein, ein neues Leben zu beginnen.
    Sie schloss die Augen und lehnte sich gegen Michel. Ihn hatte sie immer geliebt, und sie war stolz auf ihn. Stand er doch trotz allem, was in der Zwischenzeit geschehen war, treu zu ihr. Wenn Ruppertus tot ist, kann es für mich doch noch Glück und Liebe geben, wiederholte sie in Gedanken und sagte sich, dass das Schicksal sie zwar zu den tiefsten Tiefen des menschlichen Seins hinabgespült, ihr aber auch die rettende Hand gereicht hatte.
    Ein weiterer Windstoß, stärker als die vorhergehenden, ließ Funken aufstieben und trieb sie auf Marie zu. Michel zog sie ein paar Schritte zurück und zeigte zum Himmel, der sich auf einmal pechschwarz über ihnen wölbte. Erste Blitze zuckten wie Flammenzeichen am Horizont, gleichzeitig erschütterten Donnerschläge das Land und übertönten das Prasseln des Feuers.
    »Es zieht ein Unwetter auf! Wir sollten ins Trockene gehen, bevor es sich über uns entlädt«, riet Michel, doch Marie schüttelte den Kopf.
    »Ich will ihn sterben sehen!«
    Um sie herum wandten sich die ersten Zuschauer ab und hasteten in die Stadt zurück. Nicht lange, da verscheuchten die den Himmel mit einem glühenden Netz überziehenden Blitze und der ununterbrochen rollende Donner auch die restlichen
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