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Die Rache Der Wanderhure

Die Rache Der Wanderhure

Titel: Die Rache Der Wanderhure
Autoren: Iny Lorentz
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die Burg Hohenstein in Franken als neuen Wohnsitz zugewiesen. Dafür war ihnen die Verpflichtung auferlegt worden, als Burghauptmann und Kastellanin die Festung instand zu halten und das umliegende Gebiet samt dem Meierdorf zu verwalten.
    Schon bald nach dem Konzil zu Konstanz gärte es im Osten, und schließlich zogen dunkle Wolken auf, die das gesamte Reich bedrohten. Die Böhmen waren erzürnt über die Hinrichtung ihres religiösen Führers Jan Hus in Konstanz und rebellierten gegen König Sigismund und die Papstkirche in Rom. Nicht lange, da wurden die Nachrichten, die nach Hohenstein gelangten, beinahe täglich schlechter. Schließlich forderte Marie, die sich geschworen hatte, nie mehr hilflos sein zu wollen, ihren Mann auf, sie im Gebrauch des Schwertes zu schulen.
    Daher unterrichtete Michel sie regelmäßig auf der Wiese am See. An Tagen wie diesem, wenn ein sanfter Windhauch den Burghügel herabblies und ihr Haar aufstieben ließ, genoss Marie die Übungen. Sie stand neben einer Buschgruppe, hielt ihr Schwert gesenkt und sah so aus, als träume sie in den Tag hinein. Doch unter dichten Wimpern musterte sie Michel lauernd. Mit einem Mal riss sie die Waffe hoch und schwang sie gegen ihn.
    Mit einem Schritt war Michel aus ihrer Reichweite und lachte. »Das war gar nicht so schlecht. Beinahe wäre ich darauf hereingefallen.«
    »Bist du aber nicht! Du hast nicht einmal dein Schwert gehoben, um meinen Schlag abzuwehren.«
    Marie bemühte sich, enttäuscht zu klingen. Tatsächlich war sie stolz auf ihren Mann. Er beherrschte den Kampf mit allen Waffen und war ein sehr achtsamer Krieger. In seiner Gegenwart fühlte sie sich so sicher wie in Abrahams Schoß. In friedlicheren Zeiten hätte sie sich ganz auf seinen Schutz verlassen und wäre gar nicht auf den Gedanken gekommen, selbst den Umgang mit dem Schwert zu erlernen. Doch die Bedrohung aus dem Osten war so stark, dass sie Michel nicht zu einer Last werden durfte. Zwar lagen etliche Tagesreisen zwischen Hohenstein und Böhmen, doch hussitische Raubscharen waren an anderen Stellen tief ins Reich eingedrungen, und früher oder später würden sie auch den Weg in ihr kleines Refugium finden.
    Marie warf einen Blick auf die Burg, die König Sigismund ihrem Mann und ihr anvertraut hatte. Die Mauern von Hohenstein waren hoch und fest, und solange Michel sie verteidigte, würden die Hussiten sie wohl niemals einnehmen.
    »Was ist?«, hörte sie Michels Stimme und hob erneut ihr Schwert.
    Es hatte keine scharfe Schneide, sondern war für Übungskämpfe gemacht. Zu gerne hätte sie Michel einmal getroffen, aber natürlich nicht so, dass er verletzt wurde. Marie gab den nutzlosen Gedanken auf und setzte erneut zu einem Schwertstreich an. Ihr Mann wich jedoch mit der gleichen Behendigkeit aus wie zuvor und grinste. »So wird das nichts! Du musst schon richtig wütend werden und mir weh tun wollen.«
    »Mir tun die Arme weh!« Mit diesen Worten ließ Marie das Schwert sinken und blickte zu den Büschen hinüber. Dort war ihre Tochter Trudi gerade dabei, die Blüten von einem Holunderbusch zu brechen und in einem Korb zu sammeln. Dahinter erstreckten sich sanft im Wind wiegende Kornfelder, die zu Hohenstein gehörten. Ein Bauer arbeitete auf seinem Acker, hielt nun aber inne und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    Lachend hob Marie die Hand und winkte dem Mann zu. »Hallo, Thomas! Geht die Arbeit gut voran?«
    »Aber ja!«, rief er lachend.
    »Und wo hast du Hiltrud gelassen?«
    »Die ist hier!«, klang da die Stimme ihrer Freundin auf.
    Munter wie ein Reh kam Hiltrud den Weg von der Burg herab. Sie hielt in der einen Hand einen Krug und in der anderen einen Becher. »Ich wollte Thomas etwas zu trinken bringen. Wenn du magst, bekommst du auch etwas«, sagte sie und trat auf Marie zu.
    Diese nickte lächelnd und streckte die Hand nach dem Becher aus. »Kämpfen macht durstig.«
    »Vor allem, wenn man immer danebenschlägt«, warf Michel lachend ein.
    »Männer, sage ich nur!« Hiltrud schnaubte scheinbar verächtlich, doch das Zucken um ihre Mundwinkel verriet ihre Heiterkeit. Sie goss ihrer Freundin den Becher voll und sah zu, wie diese trank.
    Marie ist noch schöner geworden, dachte sie mit einem gewissen Anflug von Neid. Als Ehefrau des Burghauptmanns auf Hohenstein führte ihre Freundin aber auch ein angenehmes Leben.
    Hiltruds Blick flog kurz zur Burg, auf deren Türmen die Banner des Königs im Wind flatterten. Wer hier das Sagen hatte, gehörte zu den
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