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Die Rache der Engel

Die Rache der Engel

Titel: Die Rache der Engel
Autoren: Javier Sierra
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täusche– und nachdem ich mir Ihre Erklärungen angehört habe, bin ich mir diesbezüglich sicher–, haben die Yeziden und der Faber-Clan ihr halbes Leben mit der Suche nach diesen alten Türmen zugebracht. Und dann haben sie versucht, sie zu aktivieren, indem sie die Zeichen daran aufdeckten, die einen Teil des spirituellen Schlüssels bildeten. Diesen Code mussten sie korrekt intonieren, damit die Stätte ihnen ihre Energie übertrug. Aber nein. Das meine ich nicht.«
    » Was dann?«
    » Sagen Sie, Julia, wie lange arbeiten Sie nun schon am Pórtico de la Gloria?« Die Augen des Dekans funkelten lebhaft. » Ein halbes Jahr? Oder vielleicht noch länger?«
    Ich nickte.
    » Haben Sie sich niemals über die merkwürdige Gestalt gewundert, die die Mittelsäule des Pórtico stützt?«
    » Selbstverständlich. Alle Kunsthistoriker, die den Pórtico erforscht haben, gehen in ihren Publikationen auf diese Figur ein. Zumindest steht fest, dass dies keine Person aus dem Neuen Testament ist«, sagte ich mit Blick zu der Stelle, auf die der Dekan deutete.
    Ich kannte die Figur sehr wohl, von der der Dekan sprach. Sie war mir schon früher aufgefallen, wenn ich die Kathedrale betrat.
    » Sie ist merkwürdig, nicht wahr?«, stellte er fest und strich mit der Hand über den Stein.
    An der Basis der einzigartigen Marmorsäule, die das Zentrum des Pórtico bildet, hält ein Mann mit einem kantigen Vollbart und einem etwas derben Aussehen zwei Löwen mit weit aufgerissenen Mäulern fest. Diese Figur, die in einem völlig anderen Stil als das restliche Skulpturenensemble gehalten ist, nimmt die ganze Basis ein. Wenn man sie genauer betrachtet, entdeckt man, dass der Mann auf den wilden Tieren liegt und mit seinem Rücken das Gewicht der gesamten Säulenkomposition aushält.
    » Das ist ein ganz wichtiges Symbol, Julia. Die Säule, die der Mann trägt, wurde aus einem Material gearbeitet, das es in ganz Galicien nicht gibt. Sie stellt Jesus’ Stammbaum dar, und zwar angefangen bei Adam bis zu unserem Herrn. Seit acht Jahrhunderten streift jeder Pilger, der diese Kirche betritt, mit seiner Hand darüber und spricht aus Dankbarkeit ein Gebet. Auch heute noch beendet diese Geste die Wallfahrt nach Santiago. Dies ist der Moment, in dem die Pilger mit einem neuen Leben geboren werden, mit einem spirituelleren Leben. Aber, liebe Julia, betrachten Sie doch einmal diese Basis genauer: der gesamte Säulenschaft stützt sich auf den Rücken einer völlig unbekannten Gestalt. Möchten Sie gerne wissen, wer das ist?«
    » Natürlich will ich das.«
    » Das ist Gilgamesch. Der Held, der auf dem Weg zum Garten Eden die wilden Tiere zähmte.«
    » Das kann nicht sein«, entgegnete ich so höflich wie möglich. » Gilgamesch ist doch gar keine biblische Gestalt. Und das Gilgamesch-Epos war im 12 . Jahrhundert im Abendland noch unbekannt. Die Schrifttafeln wurden erst im 19 . Jahrhundert entdeckt.«
    » Aber er ist es wirklich, so merkwürdig Ihnen das auch vorkommen mag. Es handelt sich hier um ein Porträt, das genauso mesopotamisch inspiriert ist wie schon das inzwischen verschwundene Verklärungsportal, wo dies gewiss noch mehr Sinn ergab als hier. Wie Sie ja wissen, wollte dieser Gilgamesch das ewige Leben besitzen, indem er den Held der Sintflut Utnapischtim suchte, ohne dass ihm dies gelang. Vielleicht hat irgendein Pilger seine Geschichte gehört und hat sie verwundert hierher mitgebracht, als er darin die grundlegenden und wegbereitenden Vorstellungen für unseren Glauben erkannte.«
    » Ich verstehe Sie nicht, Padre Benigno.«
    » Ganz einfach, Julia. Gilgamesch ist bei seinem Bemühen, den Tod zu besiegen, gescheitert. Doch tausende Jahre später ist dieses Trachten einem Mann gelungen, der zur Hälfte göttlich und zur Hälfte menschlich war. Dieser Mann hieß Jesus von Nazareth und er überwand den Tod auf eine unerwartete Weise: indem er seinen physischen Körper in einen Lichtkörper verwandelte.«
    » Ist das Ihr Geheimnis?«
    » Zum Teil, liebe Julia. Das Licht ist alles. Es ist das perfekte Symbol für alle Geheimnisse, die uns umgeben. Es ist etwas Unsichtbares, das uns sehen lässt. Es ist ein Bruchteil des elektromagnetischen Spektrums, das gleichermaßen das Hörbare, das Fühlbare und das Sichtbare einschließt und das die Völker vor der Sintflut verstanden. Ihr Ehemann hat genau dieses Licht gesucht. Zum ersten Mal seit zweitausend Jahren hat es jemand gefunden, und zwar er. Und das, liebe Julia, bedeutet, dass auf dieser
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