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Die Rache der Engel

Die Rache der Engel

Titel: Die Rache der Engel
Autoren: Javier Sierra
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eine Restauratorin, die auf Werke der galicischen Romanik spezialisiert ist, so etwas suchen sollte?«
    » Nein… Das kann ich mir auch nicht erklären.«

103
    Ich hätte nie gedacht, dass es ihm so wichtig wäre.
    Die lebhaften Äuglein von Pater Benigno Fornés füllten sich mit Tränen, als ich mit meinem ausführlichen Bericht über die Ereignisse der letzten Tage fertig war. Fast unmerklich wurden sie feucht und brachten seine hellen Pupillen zum Schimmern. Das war kein Weinen aus Trostlosigkeit oder Trauer, aber auch nicht gerade vor Freude. Schließlich und endlich waren es Tränen der Dankbarkeit, so als hätte der gute Dekan durch meine Worte einen Trost gefunden, nach dem er seit Jahren gesucht hatte.
    Ich hatte mich vor allem aus sentimentalen Gründen mit ihm verabredet. Schließlich war er der erste Mensch, der sich für mich– und nicht für meine Steine– interessierte, und der mir, sobald ich wieder in Santiago gelandet war, eine Nachricht in meinem Briefkasten hinterließ, damit ich ihn nach meiner Heimkehr anriefe. Diese Geste rührte mich an. Die Rückreise nach Spanien hatte sich schwierig gestaltet. Die 16 Stunden, die ich allein für die Zoll- und die konsularischen Angelegenheiten benötigte, um zu erklären, warum ich keinen Pass bei mir trug, abgesehen von der wertwollen Zeit, die ich verlor, als ich die Verantwortlichen vom NATO -Luftwaffenstützpunkt Nr. 6 in Yenid o ˇ g an überzeugen musste, dass ich ihnen keinen archäologischen Schatz anbieten konnte, hatten mich restlos erledigt und enttäuscht. Ganz zu schweigen von den drei Linienflügen, die ich dennoch nehmen musste, um endlich nach Hause zu kommen.
    Und dann noch dieses Gefühl.
    Das Gefühl, dass der Ararat alles behalten hatte. Sogar meinen Ehemann.
    Als ich die Nachricht des Dekans las– eine Visitenkarte mit der knappen Botschaft: Melden Sie sich in meinem Büro, ich habe einige Antworten für Sie –, dachte ich, Don Benigno würde mir bei meinem Neuanfang behilflich sein.
    Doch zu meiner großen Überraschung bestellte er mich für acht Uhr abends zum Kathedralentor, kurz bevor die Pforten für die Besucher geschlossen wurden. Natürlich wollte er alle Einzelheiten von den Geschehnissen erfahren, doch er wagte nicht, Druck auf mich auszuüben.
    Er konnte sich vorstellen, was ich durchgemacht hatte, und wartete geduldig meine Antwort ab. Ich sagte ihm sofort zu. Dass ich ihn gerne treffen würde. Und dass mir ein Gespräch sicherlich guttun würde. Dass es mir helfen würde, die Erlebnisse zwischen der Nacht mit der Schießerei in der Kathedrale und den letzten Momenten im Gletscher zu verarbeiten. Und es half mir tatsächlich, denn nichts von dem, was ich ihm erzählte, schien ihm zu phantastisch oder zu übertrieben zu sein. Nicht einmal, als ich auf die Nachfahren der gefallenen Engel oder ihre verzweifelte Obsession, den Himmel anzurufen, zu sprechen kam. Der kluge Mann, der eigentlich nichts zu verlieren hatte, stimmte mit mir darin überein, dass diese » Kraft«, die uns alle auf dem heiligsten Berg der Türkei erfasst hatte, tatsächlich sehr viele Ähnlichkeiten mit der Jakobsleiter aufzuweisen schien.
    Doch ich hatte wahrlich nicht damit gerechnet, dass der alte Geistliche mich so sehr ins Vertrauen ziehen und mir seine ganz persönliche Sicht der Dinge darlegen würde.
    » Ich stehe schon vor den Pforten des Todes, Julia, doch ich denke, ich sollte mein kleines Geheimnis nicht länger für mich behalten«, flüsterte er bedächtig. Wir waren zwar allein, doch die Stille in der Kathedrale war überwältigend und forderte einen geradezu auf, sie zu respektieren.
    » Ihr Geheimnis, Padre Benigno? Was für ein Geheimnis?«
    » Sein Wert besteht nicht darin, es zu besitzen, sondern es einzusetzen.«
    Selbstverständlich hatte ich keine Ahnung, was er damit meinte.
    » Wissen Sie, warum ich Sie so oft bei Ihrer Arbeit am Pórtico de la Gloria unterstützt habe?« Don Benigno griff nach meiner Hand und führte mich genau dorthin, wo ich vor fünf Tagen die Gerüste und meine Rechner zurückgelassen hatte. Alles befand sich noch genauso an Ort und Stelle, wie ich es in Erinnerung hatte. Als wäre die Zeit stehen geblieben und nichts von dem, was danach passierte, wäre wirklich gewesen. » Julia, Sie haben immer sehr viel Mut bewiesen, wenn Sie Ihre Überzeugungen verteidigt haben. Sie haben immer geglaubt, dass die Schäden an den Figuren des Pórtico auf tellurische Einflüsse zurückzuführen sind, auf eine
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