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Die Rache der Engel

Die Rache der Engel

Titel: Die Rache der Engel
Autoren: Javier Sierra
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mit der Sprache, wer ist dieser Verrückte?«, murmelte Figueiras seinem Untergebenen zu, als sie sich schließlich an eine der kannelierten Säulen der Puerta de Platerías drückten.
    » Nicholas Allen, Inspector Figueiras. Er ist mit einem Privatflugzeug aus Washington gekommen.«
    » Und er ist so ein VIP , dass man ihn mit seiner gesamten Artillerie durch den Zoll gelassen hat?«
    » Anscheinend.«
    » Wie auch immer, es interessiert mich einen Scheißdreck, ob der Mann wichtig ist, verstanden? Nehmen Sie das Funkgerät und bitten Sie um Verstärkung. Wir brauchen einen Rettungswagen… und einen Hubschrauber! Sie sollen auf der Plaza del Obradoiro landen und das Westportal bewachen. Und schicken Sie noch eine Einheit zum Nordeingang, aber schnell!«
    Jiménez zog sich zurück, um die Anweisungen auszuführen. Figueiras’ Plan bestand darin, vor der Kathedrale zu warten, bis der Amerikaner wieder auftauchte, um ihn dann festzunehmen. Am besten ohne jede weitere Schießerei.
    Aber es sollte anders kommen.
    Die Männer wurden von drei dumpfen Schlägen überrascht, die nur wenige Meter über ihren Köpfen ein Fenster zerbersten ließen. Ein Regen von Glasscherben ging auf sie nieder.
    » Aber, was…?«
    Figueiras blieb kaum Zeit hochzublicken, doch das, was er zu sehen bekam, verschlug ihm die Sprache: Er erkannte die Umrisse eines schlanken Mannes, der sich wie ein Akrobat bewegte und dessen Haar zu einem langen Pferdeschwanz zusammengebunden war. Der Mann hielt etwas unter dem Arm und kletterte, gefolgt von einer merkwürdigen leuchtenden Wolke, an der Fassade entlang und verschwand gleich darauf auf dem 500 Jahre alten Kirchendach.
    Dem Inspektor– ein Atheist, dessen Eltern im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republikaner gestanden hatten, und seit seinem 18 . Lebensjahr selbst Mitglied der Kommunistischen Partei– wich die letzte verbliebene Farbe aus dem Gesicht. Und aus der Tiefe seiner Kehle stammelte er auf Galicisch, der Sprache seiner Mutter: » O demo!«
    Der Dämon, der Teufel.

7
    Als ich endlich einen Fuß vor die Kathedrale setzen konnte, empfing mich ein beeindruckender Schauer. Das Unwetter hatte die Straße in Zwielicht getaucht und die aufleuchtenden Blitze ließen die Freitreppen und Portale der umliegenden Gebäude merkwürdig plastisch erscheinen. Ich war ziemlich verwirrt und hatte das Gefühl, auf dem linken Ohr nicht mehr zu hören. Plötzlich so durchnässt zu werden, tat mir gut. Es erinnerte mich daran, dass ich lebendig war… Die Gerüche und vor allem das Geräusch des Regens, der auf den Stein prasselte, brachten meinen Herzrhythmus wieder in Takt und vermittelten meinem Körper Wärme.
    Nicht alle hatten so viel Glück.
    Der Mann beispielsweise, der mich aus der Kathedrale geführt hatte, schien ausgesprochen wütend zu sein. Ich war als Erste hinausgerannt und achtete nicht weiter auf ihn, aber ich glaubte ihn mit Leuten streiten zu hören, die ihn, sobald er ins Freie trat, beschimpften und anschrien. Sie trennten mich auch sofort von ihm. Ich wurde von zwei Feuerwehrleuten in Empfang genommen, die mich direkt zu den nächsten Arkaden führten, um mich vor den Regengüssen zu schützen und in eine Decke zu hüllen.
    » Seht mal!«, rief einer der Männer, als er eine Straßenlaterne aufflackern sah. » Der Strom ist wieder da!«
    Die Feuerwehrleute organisierten einen Plastikstuhl für mich und boten mir eine Flasche mit Wasser an, die ich in großen Schlucken leerte.
    » Keine Sorge, junge Frau. Sie werden sich bald wieder erholen.«
    Wovon sollte ich mich erholen?
    Der Tonfall des Feuerwehrmanns gab mir zu denken. Die Vorfälle, noch dazu nach fast neun Stunden pausenloser Arbeit, hatten vermutlich Spuren in meinem Gesicht hinterlassen. Ich weiß, das mag eitel klingen– aber instinktiv hielt ich nach einer reflektierenden Oberfläche Ausschau, um mein Aussehen überprüfen zu können.
    Eigentlich aber versuchte ich, meinen Kopf mit etwas zu beschäftigen, bei dem es nicht um Mönche, Schüsse oder leuchtende Wolken ging. Einen Augenblick lang wirkte dieses Mittel. In der spiegelnden Glastür des einzigen Cafés am Platz, das zu dieser Uhrzeit noch geöffnet war, konnte ich mich vergewissern, in welch bedauernswertem Zustand ich mich befand: Mein Blick traf auf den einer jungen Frau mit zerzaustem Haar, die völlig deplatziert wirkte. Ihre rötliche Mähne hatte jeden Glanz eingebüßt, und ihre grünen Augen waren verschattet und von erschreckend tiefen
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